XVII. Frankfurter Stadtgespräch: "Verantwortung, Führung und Zurückhaltung"

Von Daniel Jacobi

Der Konflikt um die Ost-Ukraine, das Aufbegehren des selbsternannten Islamischen Staats (ISIS), die Ebola-Epidemie – die Zahl dramatischer, internationaler Krisen wächst aktuell stetig an. Mit ihnen wachsen die Anforderungen an deutsche Außenpolitik.

Bereits vor dem Eintreten dieser Entwicklungen hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seinem Amtsantritt im Dezember 2013 zu einem umfassenden Review-Prozess aufgerufen, der sich mit diesen An- und Herausforderungen befassen sollte. Ein besonderes Element dieses Prozesses sollte sein, dass sich dieser vor allem auch "als Dialog des Auswärtigen Amtes mit den wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Stakeholdern unter Einschluss der Zivilgesellschaft" versteht.

Im Rahmen des durch den Frankfurter Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen" am 16. Oktober 2014 ausgerichteten 17. Frankfurter Stadtgesprächs mit dem Titel "Verantwortung, Führung und Zurückhaltung. Deutschlands außenpolitische Rolle im Wandel", hatten die Bürger der Stadt Frankfurt am Main nun die Gelegenheit, diese grundlegende Neuausrichtung vor dem Hintergrund aktueller Krisensituationen zu besprechen. Unter der Moderation von Dr. Thomas Biebricher "Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen" diskutierte Staatssekretär Stephan Steinlein, als Vertreter des Auswärtigen Amts, mit Prof. Gunther Hellmann, Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Außenbeziehungen westeuropäischer Staaten an der Goethe-Universität und Principal Investigator des Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen".

 

In einer einführenden Runde legte Staatssekretär Steinlein seine Sicht auf die Grundpfeiler und Ziele deutscher Außenpolitik dar. Im Sinne einer historischen Kontinuität fand er diese in der Europäischen Integration, der transnationalen Beziehungen sowie des Engagements bei den Vereinten Nationen (VN). Als eine grundlegende Veränderung strich er den Umstand heraus, dass vor allem die Partnernationen, aber nicht nur diese, Deutschland inzwischen mit einer veränderten Erwartungshaltung entgegentreten würden. Verändert insofern, als dass diese von der Bundesrepublik nun ein verstärktes Engagement in weltpolitischen Fragen und nicht zuletzt im Management von Krisensituationen erwarten würden. Er führte aus, dass "die Schonzeit nach der Wiedervereinigung" nun vorbei sei und dass der oben erwähnte Review-Prozess ein erster Schritt sei, auch einen gesellschaftlichen Dialog über diese Herausforderungen zu initiieren.

Gunther Hellmann stimmte diesen Grundkoordinaten zu und unterstrich hierbei nochmal die weiterhin zentrale Relevanz eines funktionierenden europäischen Integrationsprozesses. In einem Zusatz erklärte er die gewachsenen Anforderungen an Deutschland mit einer im internationalen System stattfindenden Machtdiffusion – also der zunehmenden Verteilung von Machtressourcen, weg von den Staaten im Allgemeinen und der Dominanz des „Westens“ im Besonderen. In einem Nachtrag hob Stephan Steinlein hervor, dass man in diesem Sinne neben der regionalen nun auch stets immer die globale Weltordnung mitdenken und versuchen müsse, diese im Sinne einer "besseren Welt" mitzugestalten.
Nach diesem Auftakt entfaltete Thomas Biebricher die zentralen Begriffe des Veranstaltungstitels: Verantwortung, Zurückhaltung und Führung. Gunther Hellmann situierte den Begriff der "Verantwortung" in dessen breiteren historischen Kontext deutscher Außenpolitik und stellte dabei heraus, dass dieser insbesondere seit den 1990er Jahren eine Veränderung erfahren habe. Während "Verantwortung" etwa unter der Ägide von Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor allem als Gegenbegriff zu einer (vor allem militärisch bestimmten) Machtpolitik gestanden habe, würde Verantwortung inzwischen ebenfalls die militärische Dimension mit einschließen – ein Umstand, der einem Großteil der Bevölkerung zuerst entgegen kam, inzwischen aber wieder Unbehagen bereiten würde.

Von Thomas Biebricher nach der "diskursiven Qualität" des Begriffs gefragt, bestätigte Staatssekretär Steinlein dessen Nützlichkeit. Als Begriff evoziere dieser den Zusammenhang von Rede und Antwort, also den Umstand, dass die Übernahme von Ver-Antwortung, auch stets mit einer Begründungspflicht einhergehe. In Antwort auf Gunther Hellmanns Analyse bejahte er die Ausweitung des Begriffs, bedauerte aber gleichzeitig, dass dieser vor allem aufgrund der medialen Berichterstattung zu oft mit einem zu starken Fokus auf das Militärische unnötig eng geführt würde. Dieser Umstand würde andere umfassende deutsche Maßnahmen, etwa im Bereich der Entwicklung, aber auch der Diplomatie, ungerechtfertigter Weise in den Hintergrund treten lassen. Gunther Hellmann wies noch einmal nachdrücklich auf die Rechtfertigungsdimension deutscher Außenpolitik im Kontext eines anspruchsvollen Verständnisses des Verantwortungsbegriffes hin, zeigte dabei aber auch das Dilemma von deren Referenzpunkten: So muss jegliche Rechtfertigung den nationalen Souverän (die Bevölkerung), aber auch die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft miteinrechnen und erreichen können.

Den Begriff der "Zurückhaltung" verband Thomas Biebrich anschließend mit dem konkreten Beispiel der deutschen Enthaltung im Falle des VN-Libyenmandats sowie der Frage, ob der Begriff nicht dazu diene, einen eigentlichen Unwillen Deutschlands zu mehr internationalen Engagement zu kaschieren. Stephan Steinlein widersprach diesem, indem er auf die Wichtigkeit internationaler Solidarität verwies, stimmte aber der deutschen Zurückhaltung im Falle Libyens zu, wenngleich er einschränkte, dass man diese Situation hätte "klüger" lösen können. Hierauf Bezug nehmend, zeichnete Gunther Hellmann nach, welchen diplomatischen Schaden die deutsche Enthaltung ausgelöst und inwiefern dieser auch hinsichtlich der aktuellen Debatten über ein „Mehr“ an deutscher Verantwortung sozialisierend und richtungsweisend gewirkt habe. Staatssekretär Steinlein verband den Begriff einer "Kultur deutscher Zurückhaltung" noch einmal explizit mit der militärischen Dimension deutscher Außenpolitik und wies dabei auf die Besonderheit des deutschen Parlamentsvorbehalts hin, der inzwischen jedoch auch international "Schule mache" bzw. als Option in den Volksvertretungen anderer Nationen, wie etwa den Vereinigten Staaten oder auch Großbritannien, diskutiert werde.

Von allen drei Schlüsselbegriffen scheine jener der "Führung" am stärksten von der deutschen Geschichte geprägt, stellte Thomas Biebricher fest und drang folglich auf eine genaue Definition dessen, was diese heute umfassen sollte. Stephan Steinlein wies in einem Rückgriff auf sein Eingangsstatement darauf hin, dass (mehr) Führung von Deutschland heute erwartet würde, dass es diese aber nie allein übernehmen solle. Konkret verwies er auf das gemeinsame Vorgehen des deutschen Außenministers mit dessen französischen und polnischen Kollegen im Rahmen der Majdan-Unruhen Anfang 2014. Er unterstrich aber auch die Notwendigkeit einer proaktiveren Haltung, um Krisen frühzeitig entgegentreten zu können sowie den Umstand, dass sich viele Nationen in solchen Situationen nicht unbedingt in eine Führungsrolle drängen würden, diese aber, wie ausgeführt, übernommen werden müssten. Gunther Hellmann dimensionierte dieses Problem wiederum, indem er auf seine These der internationalen Machtdiffusion zurückgriff und ausführte wie sehr diese auch Zurechnungsprozesse von Führungsverantwortung erschwerten. Die typischen Mittel für die Lösung bestimmter Konflikten lägen inzwischen nicht mehr bei den "üblichen Verdächtigen". Er drang daher auf eine Definition des Führungsbegriffs, der sich vor allem aus einer dezidierten Ausarbeitung der jeweiligen Problemdefinition ergeben müsse.

In einem dritten Gesprächsteil verknüpfte Thomas Biebricher diese Grundsatzdebatte mit den aktuellen weltpolitischen Beispielen der Krise in der Ost-Ukraine, des Auftretens des "Islamischen Staates" (ISIS) sowie der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise. Auf das deutsch-russische Verhältnis vor dem Hintergrund der erstgenannten Krise angesprochen, erklärte der Staatssekretär, dass dessen Basis in einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis inzwischen schwer beschädigt sei. Seine Hoffnung sei es allerdings, dass eine weiterhin aktive deutsche Rolle, vor allem in Zusammenarbeit mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), ein erster Schritt in Richtung von dessen Wiederherstellung wäre. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass ein solcher Prozess aber Jahrzehnte dauern könne. Gunther Hellmann wertete das deutsche Handeln als Beispiel der erstmaligen, dezidierten Übernahme einer internationalen Führungsrolle der Bundesrepublik, wobei insbesondere hervortrete, dass es sich um einen grundlegenden geopolitischen Konflikt mit einer Großmacht handele. Damit habe Deutschland nicht nur den eingangs genannten, gestiegenen internationalen Erwartungen entsprochen, sondern (angesichts der expliziten Beschränkung auf das Instrument der Diplomatie) auch in der eigenen Bevölkerung einen fast beispiellosen Rückhalt gefunden.

Mit der Grünen-Forderung nach einem "robusten" VN-Mandat konfrontiert – also der Möglichkeit den Konflikt mit ISIS stärker militärisch anzugehen – erteilte Stephan Steinlein solchen Ansprüchen eine Absage. Die Unübersichtlichkeit vor Ort würde solch einem Vorgehen derzeit entgegenstehen. Lediglich das mögliche, am Vortag kolportierte, jedoch zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht verifizierte Auftauchen chemischer Waffen in der Konfliktregion, ließ er als eine Möglichkeit gelten, ein solches Mandat tatsächlich in Betracht zu ziehen. Gunther Hellmann wies darauf hin, wie sehr diese Lage ein Beispiel für ein aktuelles Führungsvakuum in der internationalen Politik sei. Während Deutschland eigentlich keine Verantwortung übernehmen müsse, würden die Nationen, denen zum einen die Mittel zur Verfügung stehen würden, die aber auch (aufgrund ihrer vergangenen Politik in der Region) substantiell verantwortlich seien, zurückstehen. Gerade in Bezug auf Deutschland sei dies aber auch ein Fall, auf den man in keiner Weise vorbereitet sei. Vor allem, da das klassische Instrument erfolgreicher deutscher Außenpolitik, die Diplomatie, in solchen Fällen leider nicht mehr greifen würde. Mit Stephan Steinlein war er sich einig, dass der Dreißigjährige Krieg wohl die traurige historische Folie sei, vor der man den aktuellen Konflikt begreifen müsse. Der Staatssekretär unterstrich die relative Handlungsunfähigkeit westlicher Staaten und stellte die düstere Prognose auf, dass man dem "Ausbluten der Region" wohl noch länger zuschauen müsse und in dieser Zeit lediglich auf eine Form der "Hilfe zur Selbsthilfe" hinwirken könne, nämlich dem Erwachsen einer genuinen, lokalen Zivilgesellschaft, die sich dem ISIS entgegenstelle.

Bei der Lösung einer anderen, viel näheren Krise, nämlich der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise, stellte er der Bundesregierung jedoch ein gutes Zeugnis aus. Deutschland habe hier eine gute Rolle gespielt und sei nun gefordert, insbesondere Italien und Frankreich partnerschaftlich bei der Durchführung von deren Reformbemühungen zur Seite zu stehen. Auf die Frage Thomas Biebrichers, ob die Bundesrepublik in der Lösung der Krise nicht zu "schulmeisterlich" aufgetreten sei, antwortete Gunther Hellmann, dass man auf jeden Fall zu wenig solidarisch mit den EU-Partner gewesen sei und zu wenige Lasten selbst geschultert habe. Er erklärte dies aber auch mit der mangelnden Unterstützung durch die deutsche Bevölkerung. Staatssekretär Steinlein zeigte Verständnis für das internationale Unverständnis nationaler Befindlichkeiten und gab zu, dass Konzepte wie das der "schwarzen Null" für die meisten EU-Partner unverständlich sei. Gleichzeitig verwies er aber auch auf die Wichtigkeit nationaler Zustimmung in allen Politikfeldern.

In einer abschließenden Runde öffnete Thomas Biebricher das Gespräch für das Frankfurter Publikum, das sich am Veranstaltungsort, dem Histoischen Museum am Römerberg für das Frankfurter Stadtgespräch eingefunden hatte, und fand dort rege Rückmeldungen. Die Zuhörer befragten die Diskutanten vor allem bezüglich (1) des Stellenwerts des Völkerrechts in der deutschen Außenpolitik, (2) des deutschen Strebens nach einem ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat, (3) der Meinungsdiskrepanz zwischen Bevölkerung und außenpolitischer Elite und wie damit umzugehen sei, (4) der Möglichkeit, dass Konflikte wie jene in der Ost-Ukraine und Syrien in der nahen Zukunft nicht lösbar seien, (5) wie infolgedessen mit Flüchtlingen verfahren werden solle sowie was die Bemessungsgrundlagen für (6) gute transatlantische Beziehungen und (7) eine friedliche Europäische Union seien. Anschließend wurde gefordert (8), mehr für Entwicklungs- als für Rüstungspolitik auszugeben sowie der Vorwurf erhoben, dass (9) der Begriff eines "europäischen Wir" aus deutschem Munde zynisch klinge.

In seiner Antwort wies der Staatssekretär (ad 1) dem Völkerrecht eine zentrale Stellung zu, stellte dies aber vor allem als ein dynamisches Konstrukt dar, wie es vor allem am Fall der "internationalen Schutzverantwortung" zu studieren sei. Zugleich verbinde sich hiermit eine zentrale Frage (neuer) deutscher Außenpolitik, die Frage wie eine funktionierende internationale Ordnung aussehen könne. Das Dringen auf die Einhaltung von Rechtsordnungen sei seit jeher ein Ziel deutscher Außenpolitik gewesen, weshalb die Annektierung der Krim beispielsweise auch nicht anerkannt werde. Bezüglich eines deutschen Sitzes im VN-Sicherheitsrat (ad 2) hielt Steinlein zuerst fest, dass dieser grundsätzlich reformbedürftig, da unlängst nicht mehr repräsentativ sei. Eine solche Maßnahme wäre vor-, ein deutscher Sitz dabei erst einmal nachrangig. Hinsichtlich des Spannungsverhältnisses zwischen deutscher Bevölkerung und außenpolitischer Elite (ad 3) gab er zu, dies auch zu sehen, auch dass er Meinungsbekundungen bis in die Internetforen einschlägiger Tageszeitungen verfolge. Dabei stelle er aber auch ein großes Maß an Uninformiertheit fest, das einen fraglos wichtigen Dialog erschweren, teilweise sogar verunmöglichen würde. Es gebe in der jüngeren Bevölkerung aber durchaus ein deutlich gesteigertes Interesse an deutscher Außenpolitik, mehr als dies viele Umfragen im Allgemeinen suggerierten. Hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der Krisen in der Ukraine  und Syrien (ad 4) unterstrich er seine Haltung, dass man derzeit und auch weiterhin lediglich helfend zur Seite stehen könne. In der damit verknüpften Frage nach der Zukunft deutscher Flüchtlingspolitik (ad 5) stimmte er zu, dass man davon ausgehen müsse, dass viele Fllüchtlinge auf lange Zeit in Deutschland verbleiben würden und dass man vor diesem Hintergrund möglicherweise mittelfristig eine grundsätzliche Reform deutschen Einwanderungsrechts diskutieren müsse. Das transatlantische Verhältnis (ad 6) sah er ebenfalls in einer prekären Lage, die aber nicht etwa mit der des deutsch-russischen Verhältnisses zu vergleichen sei. Steinlein sah ein zentrales Problem in den unterschiedlichen Auffassungen darüber, wie das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zu denken sei – während die Bundesrepublik ersteres betone, gäben die Vereinigten Staaten letzterem den Vorzug. Allerdings verwies er auch auf die leider nicht nur unbedingt hypothetische Möglichkeit eines Terroranschlags in Deutschland und wie dies auch hier zu einer veränderten Gewichtung führen könne. Es sei somit vor allem eine Frage eines fortlaufenden Dialogs, um mit den Vereinigten Staaten inhaltlich wieder auf Augenhöhe zu kommen. Es gebe eine durchweg positive Aussicht, da beide Partner einander fraglos in gleichem Maße brauchten. Der Forderungen nach einer intensiveren Entwicklungspolitik (ad 8) stimmte Steinlein zu und legte dar, dass Rüstungsaufträge und -exporte unter der Großen Koalition transparenter als jemals zuvor diskutiert würden. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Abwägung zwischen beiden Politiken auch immer und gerade unter einer Großen Koalition, eine Frage politischer Aushandlungsprozesse sei. Abschließend widersprach er dem Vorwurf eines "deutschen Zynismus" im Fall der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise (ad 9) und legte die Bemühungen deutscher Politik am Beispiel Griechenlands dar. Er fügt an, dass ihm über die nationalen Einzelfälle hinaus, der Umstand eines wachsenden Demokratiedefizits innerhalb der gesamten Europäischen Union aktuell die größte Sorge bereite.

Um deren Wichtigkeit und Dringlichkeit herauszustreichen, fokussierte Gunther Hellmann seine Antwort auf einige ausgewählte Fragen. So verwies er hinsichtlich der Fragen der Bemessungsgrundlagen deutscher Außenpolitik (ad 6 und 7) auf die Rede von Bundespräsident Gauck bei der letzten Münchener Sicherheitskonferenz und dessen Aussage, dass Deutschland vor allem an der Erhaltung einer offenen, globalen Ordnung interessiert sein müsse. In deren Rahmen gehe es dann auch darum, die Vereinigten Staaten an die Einhaltung der diese konstituierenden und nicht zuletzt gemeinsam beschlossenen Regeln zu erinnern. Dem Streben nach einem deutschen VN-Sitz (ad 2) erteilte er deutlicher als der Staatssekretär eine Absage, unterstrich aber dessen Forderung nach einer Reform des Sicherheitsrats sowie wiederum über diesen hinaus die größere Anspruchslegitimität anderer (nicht-europäischer) Staaten auf einen Sitz im selben. Er beschloss die Veranstaltung, indem er sie mit einer Bezugnahme auf die Frage des Verhältnisses deutscher Öffentlichkeit und außenpolitischer Elite (ad 3) wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückführte: Während er dem Staatssekretär zustimmte, dass sich vor allem in jüngeren Bevölkerungsgruppen ein stärkeres Interesse an (aktiver) deutscher Außenpolitik zeige, unterstrich er, dass dies an sich nicht schon ein "Freibrief" für das außenpolitische Establishment sei. Von dessen Seiten sei nach wie vor zu wenig Bereitschaft zu erkennen, mit dem Souverän zu reden. Dies gelte insbesondere in Fällen, in denen sich ausdrücklicher Widerspruch gegen spezifische Politiken formiere. Ein Prozess wie das vom Auswärtigen Amt angestoßene "Review 2014" sei sicherlich ein richtiger und wichtiger Impuls. Allerdings haftete diesem nach wie vor die Struktur einer "pädagogischen Erziehungskampagne" an, in der mehr zu als mit der Bevölkerung gesprochen werde. Grundbewegung einer (neuen) deutschen Außenpolitik müsse aber vor allem die Demokratisierung dieses, nach wie vor oft erfolgreich dem Rechtfertigungsdruck entzogenen, Politikfeldes sein. Über die Etablierung zahlreicher neuer Foren, die kontinuierlich (von beiden gesellschaftlichen Sphären) bespielt werden müssen, sollte die Gesellschaft dann nicht lediglich auf künftige deutsche Außenpolitik vorbereitet werden, sondern diese, soweit möglich, mitdiskutieren und so im Sinne einer weiteren politischen Reflexionsinstanz dauerhaft begleiten können.

 

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