Klima und Armut nicht vergessen

Die „Stadtgespräch“-Premiere behandelte die Finanzkrise

Bernd Frye

„Wer Finanzgeschäfte macht, muss auch Verantwortung übernehmen. Von einem Busfahrer erwartet man das auch.“ Prof. Reinhard Schmidt überzeugte an diesem Abend mit griffigen Zuspitzungen und abwägenden Analysen. Der Professor für Internationales Bank- und Finanzwesen war einer der zwei Diskutanten im Café des Frankfurter Kunstvereins, das bis auf den letzten Platz gefüllt war; nicht wenige Zuschauer mussten mit eilig herbeigeholten Stühlen im Eingangbereich vorlieb nehmen. Der große Andrang mag zu einem Teil der politischen Prominenz des zweiten Diskutanten geschuldet sein.

Tom KoenigsTom Königs ist Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des Bundestages und vielen Frankfurtern noch als Stadtkämmerer und Umweltdezernent bekannt. Auch das Thema entfaltete wohl Zugkraft: „ Nach der Krise? - Aus der Finanzkrise lernen: Was war und was noch kommen wird“ lautete das Motto beim ersten „Frankfurter Stadtgespräch“, veranstaltet vom Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ in Kooperation mit dem Kunstverein. Die Moderation hatte Peter Siller, Scientific Manager des Clusters.

In seinen einleitenden Worten sagte Prof. Klaus Günther, einer der Sprecher des Clusters, dass der aus Steuergeldern finanzierte Forschungsverbund mit der neuen Stadtgesprächreihe den Dialog mit der Öffentlichkeit intensivieren wolle. Man sei bewusst von der Uni in die Stadt gegangen und habe ein Format gewählt, das mehr Spielraum zulasse als die sonst üblichen Vorträge. Zum Beginn des Gesprächs sagte auch Peter Siller, dass wissenschaftliche Experten immer zugleich auch Bürger seien. Dem Finanzexperten Reinhard Schmidt gefiel die Idee, nicht nur von Experte zu Laie zu sprechen, sondern von Bürger zu Bürger. Als Bürger dürfe er von jedem anderen erwarten, dass er sich der Folgen seines Tuns bewusst ist und entsprechend verantwortlich handelt. Daran hätten es viele Banker mangeln lassen. Auf der anderen Seite seien aber auch, wie Schmidt es nannte, „die überzogenen Rentabilitätserwartungen“ mancher privater Anleger „Teil der ganzen Chose“.

Prof. Reinhard H. SchmidtPauschale Schuldzuweisungen lehnte Schmidt ab. Bei einem Zwischenruf aus dem Publikum, der Kapitalismus sei schuld, schwieg der Finanzprofessor und schmunzelte. Auch Königs warnte vor allzu einfachen Schlussfolgerungen. So sei es „nicht zielführend, immer auf die bösen Banken zu schimpfen“. Der Politiker zeigte sich besorgt, dass die Finanzkrise zwei weitere globale Probleme in den Hintergrund dränge: den Klimawandel und die Armut. Als Folge der Krise seien, so Königs, „die Starken stärker geworden und die Schwachen schwächer“. Das zeige sich in weltpolitischem Maßstab ebenso wie in Deutschland, wo das soziale Ungleichgewicht wachse. Viele Redner und Rufer aus dem Publikum sahen das auch so.

Peter SillerDen Slogan „Scheitern als Chance“ brachte der Moderator Peter Siller in die Diskussion. Ob denn ausreichende Anstrengungen unternommen würden, eine zukünftige Krise zu verhindern. Schmidt sagte, dass beispielsweise in der Koordination der europäischen Banken- und Finanzaufsicht mittlerweile Maßnahmen beschlossen worden seien, die sonst fünf oder sechs Jahre gedauert hätten. Den Zwischenruf, dass vom House of Finance nichts zu hören sei, parierte er mit dem Hinweis, dass zwei Professoren dieser Einrichtung der Goethe-Universität dabei zu den führenden Experten gehören, Jan-Pieter Krahnen und Ottmar Issing. „Glauben Sie mir, ich werde bald meine Vorlesungsfolien neu schreiben müssen, und das sind nicht wenige“, so Schmidt, der sich über den Verlauf der Krise verhalten optimistisch zeigte. Es ginge langsam wieder bergauf. „Die Moral ist wieder salonfähig geworden“, sagte Tom Königs gegen Ende der Diskussion. Zumindest in dem Sinne, so Königs, dass man sich wieder über gesellschaftliche Werte unterhalte und deren Bedeutung erkenne. Die Finanzkrise zeige, dass eine rasche internationale Zusammenarbeit im Prinzip möglich sei, wenngleich er sich andere Prioritäten, etwa in der Ökologie, gewünscht hätte. Nun hoffe er, dass auch die drängenden Themen Klima und Armut energisch angefasst würden.

Das erste „Frankfurter Stadtgespräch“ endete nach etwas mehr als zwei Stunden. Viel Beifall des Publikums und zufriedene Gesichter auf dem Podium zeigten, dass es ein anregender Abend war.


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