Keynote: A Critical Theory of Transnational Justice: One Ground and Several Contexts von Prof. Dr. Rainer Forst auf der Frankfurt Summer Academy on Global Justice
Von Johanna Schafgans
Wir befinden uns an der Max-Horkheimer-Straße neben dem Theodor-W.-Adorno-Platz, auf dem der Schreibtisch von Adorno steht. „Natürlich wird in unserem ‚Normative Orders’-Gebäude Kritische Theorie gemacht”, sagt Prof. Dr. Rainer Forst mit einem Lächeln.
Anlässlich der Frankfurter Sommerakademie zur ‚Globalen Gerechtigkeit‘ hielt Forst, Co-Sprecher des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen”, am 17. Juli 2017 einen Vortrag mit dem Titel „A Critical Theory of Transnational Justice: One Ground and Several Contexts”, in dem er vor allem seine "Kritische Theorie transnationaler Gerechtigkeit" vorstellte.
Die Arbeit von Rainer Forst, der Punter anderem auch Direktor der Leibniz-Forschungsgruppe „Transnationale Gerechtigkeit“ an der Goethe-Universität ist, kann zusammenfassend als ein Plädoyer für ein transnationales Konzept globaler Gerechtigkeit und eine kritische Theorie der „transnationalen Gerechtigkeit“ beschrieben werden. Mit seiner Theorie versucht er alternative Analysen des globalen Gerechtigkeitskonzepts zu entwickeln. Dabei soll eine Theorie transnationaler Gerechtigkeit auf eine umfassende Analyse von Phänomenen der Ungerechtigkeit und ihrer Wurzel beruhen, denn die verschiedenen Kontexte der Gerechtigkeit seien durch die Arten von Ungerechtigkeit, die sie bewirken, verknüpft. An dieser Verbindung müsse eine kritische Theorie der Gerechtigkeit ansetzen.
Zu Beginn grenzte Forst seinen Ansatz von verschiedenen Theorien globaler Gerechtigkeit ab: auf der einen Seite von solchen, die liberale Prämissen für universal gültig erachten und die er daher als „liberalen Parochialismus“ bezeichnet; auf der anderen Seite von Reflexionen, die manchmal in postkolonialer Kritik zu finden seien und die mit Edward Said als „reverse orientalism“ beschrieben werden können. Deren Befürworter sähen westliche Normen wie liberale Rechte oder Demokratie als nicht gültig, da diese nicht legitim seien bzw. als Unterdrückungswaffen genutzt würden. Somit ergebe sich eine Art Provinzialisierung des Nicht-Westens, als ob es sich dabei um einen kulturellen Kontext handele, der völlig frei von den Kämpfen um Rechte für Demokratie oder wirtschaftliche Gerechtigkeit sei.
Forst distanzierte sich von diesen beiden Parochialismen und betonte, dass der Ausgangspunkt für einen kritischen Theoretiker, der über Prinzipien der Gerechtigkeit und insbesondere der transnationalen Gerechtigkeit nachdenke, ein anderer sein sollte. Es sei wichtig, mit einer Reflexion der Praxis zu beginnen – der Praxis des Kampfes gegen Ungerechtigkeit. Dennoch laufe man auch hier Gefahr, zu einem „Kampfpositivisten“ zu werden, denn nur weil jemand gegen etwas kämpfe, heiße das nicht, dass dieser Kampf richtig sei (vgl. Brexit).
Forst plädierte deshalb für eine Reflexion über die Grammatik der Gerechtigkeit als eine Grammatik des Widerstands gegen Ungerechtigkeit und des Eintretens für Praxisformen und Institutionen, die es verdienten, gerecht genannt zu werden.
Als Ausgangspunkt wählte er die Gerechtigkeitsdefinition John Rawls‘, mit der man sagen könne, dass Institutionen unter anderem gerecht seien, wenn „bei der Zuweisung von Grundrechten und -pflichten keine willkürlichen Unterscheidungen zwischen Personen getroffen werden“. Mit dieser Definition lasse sich feststellen, so Forst, dass Willkür der Hauptgegensatz von Gerechtigkeit sei. Wolle man Willkür und somit auch Ungerechtigkeit vermeiden, dann müsse man das Augenmerk vielmehr auf den Stellenwert von Personen und Gruppen innerhalb einer Grundstruktur richten, wo die Hauptentscheidungen über diese Struktur gebildet und getroffen werden, und nicht auf den konkreten Outcome dieser Entscheidungen. Dass diese Entscheidungen von allen, die dieser normativen Ordnung unterworfen seien, als gleichberechtigte Autoritäten getroffen werden sollten, scheine im Kerngedanken der Gerechtigkeit implizit zu sein. Denn Gerechtigkeit sei eine autonome Konstruktion derjenigen, die einer normativen Ordnung unterworfen sind. Gerechtigkeit sei also als Rechtfertigung zu begreifen. Eine ergebnisbestimmte Sichtweise dessen, was die gerechte Gesellschaft sei, könne daher niemals die autonome Konstruktion von Gerechtigkeit ersetzen, denn es seien die Subjekte selbst, die über die richtigen Kriterien für Gerechtigkeit nachdenken müssten.
Folgerichtig sollte nach Forst die Praxis des Widerstandes der Ausgangspunkt sein. Der Kampf um Gerechtigkeit sei, dafür einzustehen, ein gerechtfertigter Gleichberechtigter zu sein. Dies bedeute nicht als bloßes Objekt, sondern als Subjekt der Rechtfertigung behandelt zu werden und somit die Verwirklichung seines moralischen Status als normative Gleichwertiger zu erfüllen.
Darüber hinaus, so Forst, sei es wichtig, auf die Kontexte der Gerechtigkeit näher einzugehen. Diese Kontexte – seien sie lokal, national, international oder global – seien durch die Arten von Ungerechtigkeit, die sie hervorrufen, verbunden. Die normativen Ordnungen, in denen die Menschen leben, seien aber weder allein der Staat noch einige supranationale oder internationale Komplexe, sondern Herrschaftsformen, die über die Unterscheidung zwischen nationalen und supranationalen Grundstrukturen hinausgingen. Es gehe viel grundsätzlicher um diejenigen Instanzen, die für die Definition des Status jedes Menschen als Subjekt einer normativen Ordnung relevant seien. Deshalb sei es für eine Analyse der Gerechtigkeit als Rechtfertigung unentbehrlich zu verstehen, wo die wichtigsten Herrschaftsstrukturen existieren, die die Art und Weise bestimmen, wie man lebe, wie die Produktion, wie die Verteilung usw. organisiert seien. Überall dort, wo es eine relevante Form der Herrschaft gebe, sei dies ein Kontext der Gerechtigkeit – so bspw. die globale Wirtschaft oder unterschiedliche regionale Formen oder Organisationen politischer Zusammenarbeit (supranational, international, regional, usw.).
Zuletzt zeigte Forst auf, wie unter diesen Bedingungen eine Transformation möglich sei. Aus seiner Sicht sei es zwingend notwendig, den Charakter der Form der Herrschaft zu verstehen, um die Art von demokratischer Gegenmacht zu beurteilen, die erforderlich sei, um sie zu transformieren. Dort solle deshalb auch das Denken über transnationale Gerechtigkeit angesiedelt sein. Und deshalb müssten Philosophie und Sozialwissenschaften zusammengedacht werden und nicht voneinander getrennt bleiben. Demokratie sei für ihn die Form der politischen und auch der sozialen Gerechtigkeit. Denn es könne keine soziale Gerechtigkeit geben, die nicht das Ergebnis eines diskursiven Rechtfertigungsprozesses sei. Habermas zitierend lasse sich sagen, dass Demokratie durch Belagerung voranschreite, indem sie die Kreise der Macht umgebe und ihre Rechtfertigung in Frage stellte.
Zusammenfassend beendete Rainer Forst sein Vortrag, indem er feststellte: Um die Kontexte der Ungerechtigkeit lokalisieren zu können, die in Kontexte der Rechtfertigung transformiert werden sollen, sei eine komplexe, konkrete und detaillierte soziale Analyse der Welt, in der wir leben, zwingend notwendig.
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