Die Gegenwart der Religion und die Zukunft der Philosophie. Eine Tagung über und mit Jürgen Habermas

Von Michael Roseneck und Dennis Stammer

Auch das akademische Leben, sei es nun in Forschung oder Lehre, ist in erheblichem Maße durch die Corona-Pandemie eingeschränkt. So mussten zahlreiche geplante Foren des Austauschs über das 2019 erschienene, zweibändige Werk von Jürgen Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, abgesagt oder verschoben werden. Schon vor der Veröffentlichung war es allerdings anlässlich seines 90. Geburtstags im Juni 2019, zu dem J. Habermas einen denkwürdigen öffentlichen Vortrag hielt, der Gegenstand einer großen zweitägigen internationalen Tagung unter dem Dach der Normativen Ordnungen gewesen (Medienecho zum Vortrag "Noch einmal: Moralität und Sittlichkeit" von Jürgen Habermas (Auswahl)).
Um die Diskussion über dieses bedeutende Buch fortsetzen zu können, fand am 20. und 21. November 2020 ein vom Institut für Religionsphilosophische Forschung sowie dem Forschungsverbund Normative Ordnungen veranstalteter und in Kooperation mit dem Forschungskolleg Humanwissenschaften Bad Homburg durchgeführter Workshop statt, der in den virtuellen Raum verlegt worden war. Anspruch des von Thomas M. Schmidt und Matthias Lutz-Bachmann konzipierten Formats war es, renommierte Wissenschaftler*innen aus der Philosophie und Theologie Stellung zu Habermas‘ Abhandlung beziehen zu lassen sowie dem Autor die Möglichkeit zur Replik zu geben. Der Einladung in den digitalen Raum einer globalen Konferenz (die Zeitzonen von Mexiko über Pennsylvania bis nach Deutschland überspannend) folgten acht Vortragende und eine Reihe weiterer Teilnehmer*innen, und nicht zuletzt Jürgen Habermas selbst diskutierte von seinem Wohnort Starnberg aus mit.

Auch auf digitalem Wege entwickelte sich eine produktive und kollegiale Diskursatmosphäre. Um schwierige Themen wie die „epistemische Einheit von Glauben und Wissen“ (Volker Gerhardt), die Frage nach der Repräsentativität des paulinischen und augustinischen Denkens für das Christentum (Maureen Junker-Kenny) oder die Bedeutung der lutherischen Abendmahls-Theologie für ein performativ erweitertes Sprachverständnis (Michael Moxter) wurde konstruktiv gerungen. Zudem wurde der schmale Grat zwischen Fideismus und Rationalismus im Hinblick auf existenziell „gelebte Wahrheit“ im Sinne von Kierkegaard (Maeve Cooke) diskutiert und, kritisch das Schlusskapitel von Habermas‘ Werk aufgreifend, nach dem „Verkümmern der Vernunft in der säkularen Moderne“ gefragt (Ingolf U. Dalferth).
Weitere zentrale systematische philosophische Implikationen des Buches wurden in den Blick genommen. So wurden dessen spannungsreicher Bezug auf religiöse Überlieferungen als epistemische Ressourcen für eine nachmetaphysische Moral und Gerechtigkeit im Sinne des normativen „Projekts der Moderne“ skizziert (Gustavo Leyva) und Habermas’s Diagnose einer Motivationslücke postmetaphysischer Moral auf der Basis einer stärker an Kant angelehnten Vorstellung moralischer Autonomie und autonomer Moral immanent kritisiert (Rainer Forst). Ferner wurde das diskurstheoretische Programm, soziale Integration über rationale Verständigungsprozesse zu verwirklichen, mit einem an Latour anschließenden Bild von gesellschaftlicher Kohäsion als Verzahnung geschlossener Existenzweisen kontrastiert (Thomas M. Schmidt).
In seinen Repliken erläuterte J. Habermas seine Sichtweise und führte sie konstruktiv weiter. So belegte die Veranstaltung, dass der gesellschaftliche Strukturwandel zur Digitalität dabei hilft, über pandemische Zeiten hinwegzuhelfen, wenngleich alle Teilnehmer*innen den Symposiencharakter lieber im realen Beisammensein genossen hätten. Das direkte persönliche Gespräch besitzt etwas Unersetzbares.

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