Angriffe auf emanzipatorische Errungenschaften. Ein Forum des Frankfurter Kunstvereins zu Ultrakonservatismus

Bericht zum Forum „Your body is a battleground – ultrakonservative Strategien zur Wiederherstellung einer ‚natürlichen Ordnung‘“ am 18. und 19. September 2021 im Frankfurter Kunstverein.

Von Christopher Hamich

Das Ziel des Forums vom Frankfurter Kunstverein ist das nähere Be- und Ausleuchten von ultrakonservativen und rechtsextremen Bestrebungen gegen emanzipative und reproduktive Rechte gewesen. Eine Verschiebung der öffentlichen Debatte nach rechts attestierend kamen Journalist*innen, Aktivist*innen und Forscher*innen aus aller Welt zusammen um ihre Erkenntnisse und Erfahrungen sichtbar zu machen und zu debattieren.

Nach einer Begrüßung führte Neil Datta, Sekretär des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte und Herausgeber mehrerer Informationshefte zu radikalkonservativen Netzwerken, im Gespräch mit Asia Leofreddi, der Kuratorin des Forums, mit einem empirischen Überblick zu ultrakonservativen Netzwerken in den Tag ein. Er lieferte einen kompakten Überblick über diverse Think Tanks, Netzwerke und Veranstaltungen sowie deren Finanzierung und die grundlegenden strategischen Ziele solcher ultrakonservativen Netzwerke und legte damit eine wichtige empirische Basis für die folgenden Debatten der Veranstaltung.

Daran anschließend diskutierten der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Biebricher, die Autorin Natascha Strobl und die Soziologin Prof. Dr. Sarah Speck unter der Moderation von Rebecca C. Schmidt, Geschäftsführerin des Forschungsverbunds Normative Ordnungen, über die normativen Grundlagen und die Gefahren eines radikalen Konservatismus. Die Diskussionsrunde ist vom Forschungsverbund Normative Ordnungen als wissenschaftlichem Partner des Forums organisiert worden. Zu Beginn dieser Runde erläuterte Thomas Biebricher, wie sich Konservatismus klassisch definieren lässt und wie er sich vom Ultrakonservatismus unterscheiden lässt. Im klassischen, von Edmund Burke geprägten Verständnis fokussiere sich der Konservatismus auf das Bewahren des Status quo; Konservative ständen Veränderungen daher mit großer Skepsis gegenüber. Das hieße auch, dass der klassische Konservatismus sich eigentlich immer auf die Seite einer bestehender Ordnungen stelle, Konservative stünden so zum Beispiel heute auf Seiten der liberalen Demokratie, auch wenn sie diese zuvor abgelehnt hätten. Biebricher sprach in diesem Kontext auch von „tragischen“ Akteuren, da die konservative Position damit zwangsläufig eine nachgelagerte und verhindernde sei; trotzdem misst er dem klassischen Konservatismus zugleich eine wichtige Rolle in liberalen Demokratien zu, da durch ihn Anpassungsprozesse sortiert und Fortschrittsbestrebungen kritisiert würden.

Der Theoretiker unterscheidet den radikalen sehr deutlich vom klassischen Konservatismus. In seinen radikalen Ausprägungen verkehre sich der Konservatismus in sein Gegenteil, denn hierbei stände gerade die Veränderung, gar ein „Abräumen“ des Status quo zugunsten einer reaktionären Form im Vordergrund. Zwar lässt sich hier unterscheiden zwischen der gewünschten Rückkehr in ein (imaginiertes) besseres, „goldenes Zeitalter“ und der Idee, etwas genuin neues zu schaffen, das durch solche Vergangenheitsbezüge eher informiert als inspiriert ist. Die Verkehrung des klassischen Konservatismus sei hiermit aber so oder so gegeben, denn mit dessen staatstragender Einstellung und dem Wunsch nach Stabilität habe dieser radikale Konservatismus nichts mehr zu tun. Als Beispiel für einen radikalen Konservatismus führte Biebricher die Akteure der Konservativen Revolution zu Zeiten der Weimarer Republik an.

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erläuterte im Anschluss, mit welchen Strategien ultrakonservative Akteure dem politischen Diskurs sowie dem demokratischen System begegnen. Die Anwesenden konnten hier von sehr aktuellen Ideen der Autorin profitieren, da ihr Buch „Radikalisierter Konservatismus“ wenige Tage zuvor im Suhrkamp Verlag veröffentlicht wurde. In diesem wie auch in ihrem Beitrag zur Diskussionsrundebeschreibt Strobl insgesamt sechs substantielle und strategische Merkmale eines radikalen oder radikalisierten Konservatismus: Bei handelt es sich um den bewussten Regelbruch sowohl formeller als auch informeller Regeln, das Schüren von Polarisierungen und die Konstruktion eines völkischen Weltbildes der Differenz, der Fokus auf Führungspersonen, ein antidemokratischer Staatsumbau mit dem vor allem das Justizsystem und der Parlamentarismus geschwächt werde, eine Politik des permanenten Wahlkampfmodus sowie das Ansprechen und Nutzen von Parallelrealitäten und Fake News. Prototypisch sieht Strobl einen solchen radikalisierten Konservatismus bei der Republikanischen Partei der USA unter Donald Trump aber auch bei der konservativen Partei Österreichs unter Sebastian Kurz. Sie selbst sei erschrocken gewesen über die Ähnlichkeiten der beiden in Strategien und Politikstil.

Strobl betonte, dass es Akteuren des radikalisierten Konservatismus klar um einen Bruch mit dem Nachkriegskonsens westlicher liberaler Demokratien und insbesondere mit dem klassischeren Konservatismus der Nachkriegszeit gehe. Dazu bedienen sich die Bewegungen klarer Feindbilder – Linke oder Migranten –, die dafür sorgen, dass sich unterschiedliche ultrakonservativ orientierte Akteure und Bewegungen trotz verschiedener Ziele (erst mal) zusammenfinden können.

Die Soziologin Prof. Dr. Sarah Speck sprach danach über das gesellschaftliche Mobilisierungspotential ultrakonservativer Akteure und Positionen. Sie identifizierte hier vor allem Affekte und Sicherheitsversprechen als wichtige Ansatzpunkte, um für radikale, konservative Positionen zu mobilisieren. So sei zum Beispiel das Thema Geschlecht und Gender sehr ansprechbar für affektive Reaktionen. Wenn Begriffe und Konzepte zum Thema Gender zum Beispiel von Rechten diskreditiert werden – „Gendergaga“ – dann besteht hier eine Ansprechbarkeit auf Seiten konservativer Personen. Kurzum können affektive Übernahmen solcher diskreditierenden Begrifflichkeiten geschehen, die wiederum ein Spektrum für radikalisierten Konservatismus eröffnen.

Zudem sieht Speck in Menschen, die grundsätzlich eine konservativere Einstellung zur Welt haben, großes Potential zur Mobilisierung über Sicherheitsbedürfnisse und klare, einheitliche Weltbilder in krisenhaften Situationen. So seien Menschen zum Beispiel in einer ständig Überforderungen produzierenden Erwerbswelt ansprechbar für Versprechen und Ideen, die beinhalten, dass gesellschaftliche Zustände und Hierarchien so eindeutig bleiben, wie sie sind oder waren. Mit der Frage konfrontiert, warum es auch eine Vielzahl an Frauen gibt, die sich rechten und ultrakonservativen Bewegungen und Parteien anschließen verweist Speck darauf, dass es keinen Grund gebe, warum nicht auch Frauen von klaren Welt- und Ordnungsbildern und dementsprechend von rechter Ideologie abgeholt fühlen können.

Die Soziologin betonte die Paradoxien von geschlechtlicher Gleichheit. Zwar hätten sich Gleichheitsideen in diesem Sinne tendenziell durchgesetzt, zugleich manifestierten sich allerdings auch Ungleichheiten zum Beispiel im Bereich von Sorgetätigkeiten. Was sich in emanzipativen Kämpfen durchgesetzt habe, sei eine liberale Gleichheitsidee, die sich vor allem auf die Erwerbstätigkeit fokussiere, womit allerdings viele andere Fragen, insbesondere in der Sphäre des Privaten, überdeckt würden. Und im Falle der Sorgearbeit sei es weder in der Erwerbswelt noch im Privaten zu einer Gleichheit gekommen, Sorgearbeit sei schlicht nicht Gegenstand von Gleichheitsbestrebungen gewesen. Hierin sieht Speck ein Potential für die Anknüpfung an die ultrakonservativ propagierte Restaurierung eines klassischen, „natürlichen“ Weltbildes.

In der Diskussion mit dem Publikum war sich die Runde einig, dass ultrakonservative Bewegungen zwar zu beobachten und definitiv zu kritisieren sind aber dennoch keine überstiegene Angst vor dem Verlust emanzipatorischer Errungenschaften notwendig sei. Sarah Speck appellierte an eine grundlegende Wachsamkeit. Analysen von ultrakonservativen Akteuren und Positionen seien wichtig, auch wenn Optimismus durchaus angebracht sei. Auch Thomas Biebricher zeigte sich optimistisch für die Zukunft. Es gebe zwar einen Übergang von traditionellem zu radikalem Konservatismus, aber das heiße nicht, dass progressive, nicht-konservative Akteure verschwänden, betonte er.

Nach einem Panel über die Instrumentalisierung und Unterwanderung von Menschenrechten und Gerichten durch ultrakonservative Akteure folgte mit der Keynote von Prof. Dr. Nancy Fraser (New School for Social Research, New York) unter dem Titel „Unsere Körper, unsere Politik: Gegen die Ultrakonservativen und ihre liberalen Ermöglicher“ der Schlussvortrag des Tages. Prof. Dr. Rainer Forst (Goethe-Universität Frankfurt, Normative Ordnungen) stellte Fraser einführend vor und legte damit auch die Grundlage der kommenden 90 Minuten. Forst betonte, dass Fraser in ihren theoretischen Argumenten immer großen Wert auf intersektionale Perspektiven legt; Kämpfe für Emanzipation in ihrem Denken also mehr sind als singuläre Kämpfe für zum Beispiel Gleichheit in geschlechtlichen Verhältnissen. Materielle Verhältnisse stünden bei Fraser immer im Vordergrund, so der Philosoph.

In ihrem Vortrag knüpfte Nancy Fraser dann nahtlos an diese Einleitung an. Ohne damit eine Verharmlosung des Ultrakonservatismus vollziehen zu wollen, interpretiere sie die Fragen der Veranstaltung vor einem größeren Hintergrund. Fraser spannte eine Linie auf, in der Gender als Kritikobjekt ein (gewichtiges, aber nicht alleiniges) Thema von ultrakonservativen Akteuren ist, während Ultrakonservatismus selbst Teil eines größeren Komplexes von Gefahren für emanzipative Politik ist. Ultrakonservatismus sei nämlich auch nur ein Symptom einer Situation, die Fraser dann anhand der Verhältnisse in den USA näher bestimmte.

Fraser plädierte dafür, den Ultrakonservatismus in allen seinen verschiedenen Ausprägungen zu betrachten. Dabei bilden die zahlreichen Angriffe auf weibliche und weiblich gelesene Körper zwar einen wichtigen Krisallisationspunkt, wie sich beispielsweise im kürzlich verabschiedeten texanischen Abtreibungsgesetz noch einmal deutlich gezeigt habe, hinzu kämen allerdings beispielsweise latente und offene Rassismen oder die Ablehnung von allem, was konservative mittlerweile unter Critical Race Theory subsumieren.

Wichtiger ist der Philosophin aber, Ultrakonservatismus selbst als Strang eines größeren, materialistischen Konfliktes zu begreifen. Dieser zeichne sich durch die Ablehnung von den Eliten eines progressiven Liberalismus aus, der in den vergangenen Jahrzehnten national wie international tonangebend gewesen sei. Ausprägungen dieses Liberalismus seien unter anderem die Umverteilung von unten nach oben und meritokratische Ideale. Der springende Punkt sei, dass diese Einstellungen nicht nur prävalent waren und sind, sondern dass sie von Liberalen und Linken gleichermaßen vorangebracht wurden, weshalb es zur Wahrnehmung einer Allianz oder Verbindung von emanzipatorischen und neoliberalen Akteuren gekommen sei, die dafür sorge, dass die Ablehnung des neoliberalen Wirtschaftssystems und/oder seiner Ausprägungen nun sehr schnell auch mit der Ablehnung progressiver Politik(en) einhergehe. Zentristische Liberale und Linke seien in der Außenbetrachtung ein und dieselbe Elite gewesen. Das, betont Fraser, gilt es aufzubrechen.

Damit gelangte die Philosophin zu zwei Vorschlägen für den zukünftigen Umgang mit ultrakonservativen Bewegungen. Zum einen gelte es wahrzunehmen, dass ultrakonservative Bewegungen sich im Bestreben nach sozialer Sicherheit an ihre Staaten wendeten. Viele dieser Bestrebungen seien zwar mit autoritären Politikvorstellungen verknüpft, dennoch sieht Fraser hier die Möglichkeit, Staat und staatliche Institutionen aus einer antikapitalistischen Perspektive neu zu denken und damit dieses Potential teilweise aufzunehmen. Des Weiteren sei es wichtig, den Vorhang des Neoliberalismus zu lüften. Rechtskonservative Politik zeichne sich dadurch aus, dass neoliberale Politiken, Eliten und Symptome dieser Politik lautstark kritisiert würden, im Hintergrund aber dennoch weiterhin vor allem Kapitalinteressen bedient würden. Mit Gramsci schließt sie, dass das Alte zwar stirbt und das Neue noch nicht geboren ist, ergänzt aber, dass das Neue eben nicht geboren werden kann, bevor eine linke Bewegung existiert, die eben nicht nur feministisch sondern auch vollständig und offen antikapitalistisch ist.

In der anschließenden Fragerunde spezifizierte Fraser unter anderem, dass diese Strategien einen Bruch mit den liberalen Eliten voraussetzen: Linke Politik müsse die Unterstützung von und Vereinnahmung durch liberale Eliten aufgeben. Solange der Faschismus nicht vor der Tür stehe gebe es keinen Grund (mehr), mit den liberalen (Mit-)Verursachern der aktuellen Situation zusammenzuarbeiten. Die Gegenbewegung zu radikalem Konservatismus muss für Nancy Fraser emanzipatorisch und antikapitalistisch sein, sie muss sowohl den Ultrakonservatismus als auch den Neoliberalismus kritisieren.


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