Panel III – Gewalt, Kultur und Politik in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche
Internationale Jahreskonferenz “Revolution, Reaktion, Restauration: Umbrüche normativer Ordnungen"
Freitag, 23. November 2018, 13:00 Uhr – 15:00 Uhr
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Westend
Max-Horkheimer-Str. 2
Gebäude "Normative Ordnungen", EG 01 und EG 02
Revolutionen zielen gleichermaßen auf die Umwälzung politischer als auch sozialer und häufig sogar kultureller Ordnungen. Die beteiligten Akteure geben stets an, für eine gerechtere Welt einzutreten. Was darunter verstanden wird, unterscheidet sich in den historisch dokumentierten Fällen fundamental. Während es in der französischen Revolution um eine weltliche Idee von Brüderlichkeit ging, die auf den Prinzipien der politischen Gleichheit aller Bürger basierte, stand bei islamistischen Modellen die Gerechtigkeit einer gottgewollten Ordnung im Zentrum, die durchaus fundamentale Ungleichheiten innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen einschloss. Ein Problem gesellschaftlicher Veränderungen ist die Rechtfertigung von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, die besonders bei revolutionären politischen Umwälzungen als unvermeidliche Effekte auftreten. Nach Phasen der Restauration stellt die Traumatisierung vonTätern und Opfern eine Herausforderung dar, die durch spezifische Erinnerungspolitiken bearbeitet werden. Gewalt ist aber auch ein Aspekt reaktiver Dynamiken, in denen gerade gegenwärtig fremdenfeindliche und rassistische Muster zum Tragen kommen. In allen Fällen, die in dem Panel behandelt werden, werden kulturelle und politische Hegemonien herausgefordert und mit alternativen Konzepten normativer Ordnungen konfrontiert.
Moderation: Hakim Khatib
CV
Hakim Khatib ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. Seine aktuelle Forschung konzentriert sich auf vom Islam inspirierte politische Ideologien wie islamistischen Extremismus und Salafismus, Radikalisierungs- und Deradikalisierungsprozesse in Deutschland sowie Frieden und Konflikt im Nahen Osten. Khatib studierte Politikwissenschaften des Nahen und Mittleren Osten, Sozial- und Kulturwissenschaften und Sprachwissenschaften sowie Journalismus in Syrien, Großbritannien und Deutschland. Seit 2011 lehrt er an unterschiedlichen hessischen Universitäten Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Ideologie und Macht in der sozio-politischen Landschaft, Religion und ihre Beziehung zur zeitgenössischen Politik in Westasien und Nordafrika. Seit 2014 ist er Chefredakteur des Online-Journals Mashreq Politics & Culture Journal und hat zahlreiche Artikel in verschiedenen Sprachen in einem breit gefächerten Spektrum von Online- und Printmedien sowie Think Tanks veröffentlicht.
Vortrag 1
Prof. Dr. Gudrun Gersmann
Terror, Tod, Trauer, Trauma: Die Auseinandersetzung um die Französische Revolution in der Restauration
Abstract
In einem Interview aus dem Jahre 2015 hat Emmanuel Macron, heute französischer Staatspräsident, damals noch Wirtschaftsminister, ein in seinem Land seit der Hinrichtung Königs Ludwig XVI. im Januar 1793 existierendes Defizit konstatiert. Die revolutionäre Terreur habe, so Macron, eine „emotionale“ und „imaginäre“ Leere verursacht, von der sich Frankreich seither nie wirklich erholt habe. Die durch diese pointierte Aussage ausgelöste Mediendiskussion zeigt, dass der „Königsmord“ des Jahres 1793 bis heute unverändert ein aktuelles Thema der französischen Politik darstellt. Dies galt erst recht für die frühe Phase der Restauration, als sich nach der Rückkehr der Bourbonen in den Jahren ab 1814 bzw. 1815 „Täter“ und „Opfer“ direkt einander gegenüberstanden und offiziell über die Frage nach der kollektiven Schuld der Franzosen am Tod des Königs und der „Entgleisung“ der Revolution debattiert wurde. Der Vortrag rekonstruiert am Beispiel der ambivalenten „Erinnerungspolitik“ der Restauration, wie die französische Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts die Erfahrungen der Französischen Revolution zu verarbeiten versuchte.
CV
Gudrun Gersmann studierte Geschichte, Romanistik und Germanistik in Bochum, Genf und Paris. Promotion 1991 mit einer Studie über Zensur- und Untergrundbuchhandel im Paris des späten 18. Jahrhunderts an der Ruhr-Universität Bochum (Literaturpreis des Gleimhauses in Halberstadt 1997), Habilitation an der LMU München im Jahre 2000 mit einer Studie zu „Wasserproben und Hexenprozesse im frühneuzeitlichen Fürstbistum Münster“. Anfang 2002 Berufung auf die mit der Leitung des Hochschularchivs verbundene Professur für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der RWTH Aachen, 2004 Ruf auf den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln, 2007 Ruf auf die Stelle der Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Paris. Nach fünfjähriger Beurlaubung in Köln für die Pariser Tätigkeit Rückkehr im Oktober 2012 auf den Kölner Lehrstuhl. Von Oktober 2013 bis März 2015 war Gudrun Gersmann Prodekanin der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln für Planung und akademische Karriere, von April 2015 bis April 2017 Prorektorin für Internationales. 2017 wurde sie von Staatspräsident Francois Hollande in die französische Ehrenlegion aufgenommen.
Vortrag 2
Prof. Dr. Susanne Schröter
Islamische Revolutionen – Die Beispiele Syrien und Irak 2014 und Iran 1979
Abstract
Am 29. Juni 2014 wurde in Teilen Syriens und des Iraks ein „Islamischer Staat“ ausgerufen und der Milizenführer Abu Bakr al-Bagdhadi ernannte sich selbst zum Kalifen. Kurz zuvor hatte sein Verband die Millionenstadt Mossul erobert. Die große Unterstützung innerhalb der sunnitischen Bevölkerung machte es möglich, dass der dschihadstischen Gruppe, deren Vorläufer lediglich als Akteure eines Gewaltmarktes bekannt waren, eine vollständige Umwälzung der Gesellschaft gelang. Die islamische Revolution des IS beinhaltete nach der Konstituierung des Islamischen protostaatlicher Strukturen und die territoriale Ausdehnung mit militärischen Mitteln. Ziel war die Mobilisierung von Muslimen angrenzender Regionen für das eigene Projekt und die Ausbreitung der Revolution. Die Idee einer gern als „islamisches Erwachen“ bezeichneten Erhebung von Muslimen gehört nicht nur zur politischen Agenda sunnitischer Revolutionäre, sondern auch zur Staatsdoktrin der islamischen Republik Iran. Diese basierte historisch auf einer anderen Form von Revolution, nämlich auf einer breiten sozialen Bewegung, die keineswegs mehrheitlich die Etablierung einer islamischen normativen Ordnung zum Ziel hatte. Wie im Irak waren ein charismatischer religiöser Führer – in diesem Fall der aus dem Pariser Exil zurückgekehrte Ayatollah Khomeini – und soziale Besonderheiten ausschlaggebend für den Erfolg der Etablierung eines islamischen Staates. Das Moment der fortlaufenden Revolution oder auch eines Revolutionsexportes ist für den Iran ebenfalls konstitutiv. Der Vortrag vergleicht die Verläufe und die kulturellen, politischen und religiösen Konzepte, die bei den beiden Revolutionen zum Tragen kamen.
CV
Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt, Principal Investigator im Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Vorstandsmitglied des „Deutschen Orient-Instituts“, Mitglied der „Hessischen Integrationskonferenz“ und des „Hessischen Präventionsnetzwerk gegen Salafismus“. Sie ist im wissenschaftlichen Beirat des „Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft“ (IDZ), Mitglied der „Polytechnischen Gesellschaft“ und Senatsmitglied der „Deutschen Nationalstiftung“. Im November 2014 gründete sie das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ (FFGI), das sie seitdem leitet. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Islamismus und Dschihadismus; progressiver und liberaler Islam; Frauenbewegungen in der islamischen Welt. Kürzlich erschienene Publikationen: „Religiöse Rechtfertigungen des Dschihadismus“, in: Schellhöh, Jennifer u.a., Hg.: Großerzählungen des Extremen. Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror (Bielefeld: Transcript 2018); „Islamischer Fundamentalismus“, in: Zentralrat der Juden in Deutschland, Hg.: Jüdische Bildungslandschaften (Berlin: Hentrich & Hentrich 2018); „Gender Clash in der Einwanderungsgesellschaft? Debatten um Rassismus, Sexismus und Kultur nach den Ereignissen der Silvesternacht 2015 / 16“, in: Schröter, Susanne, Hg.: Normenkonflikte in pluralistischen Gesellschaften (Frankfurt: Campus 2017); „Islamic feminism. National and transnational dimensions”, in: Cesari, Jocelyne, Hg.: Islam, gender and democracy (Oxford: Oxford University
Press 2017).
Vortrag 3
Dr. Jason Mast
Cultural Codes in Brexit and the 2016 US Presidential Election
Abstract
In 2016, Americans elected a candidate who advocated withdrawing from international agreements, building legal and physical barriers to immigration, and removing foreign nationals from American soil. In his campaign, candidate Trump destabilized culture structures that had served as the boundaries of legitimate political and civil discourse in the US. Also in 2016, citizens of the UK voted to withdrawal from the EU. A prominent feature of the Leave campaign was its racial and xenophobic discourse and imagery. Its most ardent supporters were those with the greatest social and geographical distance from immigrant communities. These events (and recent others) evidenced swells of populism, ethnonationalism, and isolationism, and unsettled the multicultural, globalist, and neoliberal trajectories that many had assumed were durable and determined. Two pressing concerns of political analysts are identifying “culture structures” that control, anchor, and organize other elements in civil discourse, and determining the degree to which these structures are shifting and fragmenting. Having examined the foundational cultural codes and justification narratives in these events, I discuss what my findings portend for contemporary democratic normative orders.
CV
Jason Mast is a postdoctoral research fellow at the Cluster of Excellence “The Formation of Normative Orders,” Goethe University Frankfurt. Mast earned his PhD in sociology from the University of California, Los Angeles. He accepted a dissertation writing fellowship from Yale University. An early formulation of his PhD thesis was awarded the Best Graduate Student Paper prize by the Sociology of Culture section of the American Sociological Association. His dissertation, The Performative Presidency: Crisis and Resurrection During the Clinton Years (Cambridge University Press), was named a Choice Awards Outstanding Academic Title of 2013. Currently, Mast has an article forthcoming in the American Journal of Cultural Sociology in which he critiques cognitive neuroscientific interventions in the social sciences. He has a co-edited volume, Politics of Meaning / Meaning of Politics: Cultural Sociology of the 2016 US Presidential Election (Palgrave Macmillan), coming out in autumn 2018. And he is writing a monograph on the US 2016 election, tentatively titled, The Making of the Trump Presidency: Truthful Hyperbole and Troubled Legitimacies
(University of Chicago Press).
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Veranstalter:
Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen"