Titanen oder Zyklopen? Kriminalisierungstheorie zwischen Einheit und Vielfalt
Ringvorlesung des Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen": Criminal Justice between Purity and Pluralism - Strafrechtspflege zwischen Purismus und Pluralität
Beatrice Brunhöber (Leibniz Universität Hannover)
10. Mai 2017, 18.15 Uhr
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Campus Westend, Hörsaalzentrum, HZ11
Abstract
Darüber, welches Verhalten strafrechtlich verboten werden darf oder gar muss, lässt sich trefflich streiten. Die Rechtsgutstheorie sucht in der deutschen Strafrechtswissenschaft seit zwei Jahr hunderten nach einer Antwort auf diese schwierige Frage. Viele gehen davon aus, dass die Antwort seit Feuerbach kontinuierlich auf einem theoretischen Fundament ruht und im Grunde eine Antwort formuliert: Strafwürdig sind nur Verhaltensweisen, die Rechtsgüter verletzen.
Aber ist die Einheit der Antwort nicht bloß eine große Erzählung (Lyotard)? Kann diese Erzählung in einer Welt aufrechterhalten werden, die empirisch von der Koexistenz verschiedenster Wertvorstellungen in der Gesellschaft geprägt ist und normativ auf den Ideen des Pluralismus fußt? Fehlt uns gleich den Zyklopen ein Auge, um den Standpunkt der anderen zu sehen (Kant)? Oder gilt nicht umgekehrt: Kehrt man der Einheit der Antwort den Rücken, so drohen zwangsläufig Beliebigkeit und Relativität? Müssen wir an einer einheitlichen Antwort festhalten, um als Titanen eine Bastion gegen unbegründete Kriminalisierungen zu verteidigen?
CV
Beatrice Brunhöber ist Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Leibniz Universität Hannover. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie 2009 promoviert wurde und sich 2016 habilitierte. Sie war Visiting Scholar an der George Washington University Law School (Washington D.C.) und Junior Fellow an der DFG-Kollegforschergruppe „Normenbegründung in der Medizinethik und Biopolitik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Im Strafrecht befasst sie sich mit Grundfragen des materiellen Strafrechts sowie mit Medizin-, Datenschutz-, Computer- und Internetstrafrecht. Daneben hat sie einen Schwerpunkt in der Rechtsphilosophie, wo sie sich vor allem mit Kriminalisierungstheorien und bioethischen Fragen beschäftigt.
Weiterhin interessiert sie sich für die Strafrechtsvergleichung mit dem kontinentaleuropäischen und angelsächsischen Raum. Bücher (Auswahl): Die Erfindung "demokratischer Repräsentation“ in den Federalist Papers (2009) (Auswahl zum juristischen Buch des Jahres 2010); Strafrecht und Verfassung (Mithrsg., 2013); Strafrecht im Präventionsstaat (Hrsg., 2014); Strafrechtlicher Schutz der informationellen Selbstbestimmung (i.Vb.).
Veranstalter:
Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen"