Formierung einer neuen Geschlechterordnung in Tunesien nach der Revolution
In der Forschung, die in den Schwerpunkt „Post/ Säkularismus“ eingebettet war, wurde die neu verhandelte Geschlechterordnung des postrevolutionären Tunesien thematisiert. Frau Zayed arbeitet mit Parlamentarierinnen der islamistischen Ennahdha Partei in der verfassungsgebenden Nationalversammlung und beobachtete Entscheidungsprozesse. Nach langen politischem Ringen und Streiten endet die Transformationsphase mit der Verabschiedung der „neuen“ tunesischen Verfassung der „zweiten“ Republik am 26.01.2014.
Die tunesische Geschlechterordnung wird durch überkommene Bräuche, Religion und scheinbar unerschütterliche Hierarchien definiert. In dieser Hinsicht stemmen sich patriarchalische Eliten gegen einen sozialen Wandel, den die Jugend sucht und verlangt. Das war das Credo der tunesischen Revolution. Es geht um ein Thema, das aber eng mit Fragen des Rechts, der Wirtschaft und der Gesellschaftspolitik verwoben ist.
Die Interviews bildeten den Ist-Zustand im Hinblick auf die Geschlechterordnung der tunesischen Gesellschaft ab. Dabei spielte die Positionierung der Forscherin eine zentrale Rolle. Als kopftuchtragende Frau gewann Frau Zayed das spontane Zutrauen der Geschlechtsgenossinnen in der islamistischen Partei der Ennahdha, die einem männlichen Forscher keineswegs vergleichbar offen Auskunft gegeben hätten. Als bekennende Muslima erwarb sie zudem den Respekt von Männern, die ihr, der Wissenschaftlerin, auch auf Fragen die Antwort nicht verweigerten. Der Zugang zeigte ihr aber auch die Grenzen ihrer Arbeit. Die säkularorientierten Frauenrechtsaktivisten der „Association des Femmes Démocrates“ verweigerten ihr Antworten auf wissenschaftliche Fragen, weil sie das Kopftuch als „politisches Symbol“ ansahen. Aus diesem Grund wandelte sie ihre eingangs sehr weit gefasste Forschungsfrage und konzentrierte sich auf den Frauenflügel der prominentesten, islamistischen Partei Tunesiens.
Die Forschung zeigt ein rigides Islamverständnis der Akteurinnen und eine Persistenz traditioneller Rollenbilder. Es sind Frauen, die die Unterdrückungsmechanismen rechtfertigen und gegenüber der Jugend durchsetzen. Die patriarchalische Familie gilt als Keimzelle der tunesischen Gesellschaft, und das Machtwort des Vaters gilt bei den Islamisten als nichthinterfragbar. Vorehelicher Geschlechtsverkehr bei Frauen ist ein strafwürdiges Vergehen, bei Männern wird es ausschließlich als ein Kavaliersdelikt angesehen. Der Jungfräulichkeitskult nimmt immer groteskere Züge an und befördert nichts anderes als den ebenfalls verpönten Analverkehr unverheirateter Frauen sowie medizinische Betriebe in Tunesien, die künstliche Jungfernhäutchen herstellen und einsetzen. Homosexuelle müssen sich verstecken und werden strafrechtlich verfolgt. Geschiedene Frauen sind stigmatisiert und werden als schwer vermittelbar gebrandmarkt. Dazu kommt die sexuelle Gewalt, die zunimmt und selten zur Anzeige kommt, weil die Polizei fast immer das Opfer beschuldigt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die skizzierte Doppelmoral ein gravierendes Problem für Frauen darstellt. Individuelle Rechte, die die Frauen schützen, müssen in Zukunft weiter durchgesetzt werden, vor allem gegen orthodoxe Muslime und gegen die mächtigen Salafisten.
Das Projekt befindet sich in der Phase der Verschriftlichung der Ergebnisse. Ziel ist, die Dissertation Ende des Jahres 2017 einzureichen.
Frühe Zwischenergebnisse wurden publiziert als:
Schröter, Susanne und Sonia Zayed: „Tunesien: Vom Staatsfeminismus zum revolutionären Islamismus“, in: S. Schröter (Hg.): Geschlechtergerechtigkeit durch Demokratisierung? Transformationen und Restaurationen von Genderverhältnissen in der islamischen Welt, Bielefeld: Transcript, 2013, S. 17–44.
Personen in diesem Projekt:
Projektleitung / Ansprechpartner
Schröter, Susanne, Prof. Dr.
Projektmitarbeiter
Hensler, Jonas
Khatib, Hakim
Lang, Sabine, Dr.
Zayed, Sonja