Von Frederike Popp

 In den ersten drei Vorträgen der Fortsetzung der Vorlesungsreihe „Gesetz und Gewalt im Kino“, die während des Sommersemesters 2014 im Museum für Moderne Kunst stattfindet, fanden bereits drei ganz unterschiedliche Genres Berücksichtigung. Nach einem Frauengefängnisfilm, einem kammerspielhaften Drama und einem (Anti-)Kriegsfilm nahm Angela Keppler( Mediensoziologin der Universität Mannheim und assoziiertes Mitglied des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) nun am 27. Juni 2014 unter dem Titel "Eine Travestie der Gewaltverhältnisse innerhalb und außerhalb des Kinos" einen Themenkomplex wieder auf, der bereits mehrfach im ersten Teil der Vorlesungsreihe Gegenstand der Überlegungen war: das Verhältnis von Gesetz und Gewalt im Western.
Ihr Vortrag nahm in diesem Kontext vor allem deshalb eine Sonderstellung ein, weil Keppler sich als einzige mit der Frage auseinandersetzte, wie sich dieses Verhältnis bei der weiblichen Version des Westernhelden gestaltet.

Zu diesem Zweck hatte sie für ihren Vortrag den Film Viva Maria von Louis Malle aus dem Jahre 1965 ausgewählt. Hierbei handelt es sich um einen Western, der nicht nur aufgrund seiner zwei gleichermaßen unerschrockenen wie schießfesten Heldinnen aus dem Genrerahmen fällt.
Keppler betonte zu Beginn, dass sich der Film konsequent den Traditionen filmischer Gewalterzählung verweigere und diese in keinster Weise ernst nähme. Dabei beschränke er sich jedoch nicht nur auf dieses Thema. Die Gewalt im Film steht nach dieser Deutung vielmehr im Dienst eines größeren Vorhabens: der filmisch gestalteten „Karnevalisierung“ bestehender Ordnungen. Nach Keppler bringe der Film insgesamt „die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen“.

Im Folgenden arbeitete sie heraus, wie sich dieses Vorhaben auf formaler und narrativer Ebene im Film nach und nach realisiert. Auch wenn die Handlung sich durchaus in konventionellen Wendungen ereigne – Keppler wies u. a. auf die Romantisierung der Revolution gegen ein korrumpiertes Staatssystem hin – bildeten die unkonventionellen Heldinnen nur ein Beispiel von vielen dafür, wie der Film Altbekanntes auf den Kopf stelle. Die besonders augenfällige Inszenierung der beiden Marias stand allerdings im Mittelpunkt der Überlegungen. Dabei zeichnete Keppler nach, wie der Film seine Heldinnen aus der traditionellen Rolle der Frau im Western als Hure, Heilige oder patentes Wesen, das seine Dienste ergeben in den Dienst des männlichen Helden stellt, befreie, indem er sie selbstbestimmt nicht nur zu den Männern sondern vor allem zu den Waffen greifen ließe. Als Opfer ließen sich vor allem Vertreter von machtausübenden Instanzen – des Klerus, des Militärs und der Politik – ausmachen, deren Gewaltausübung meistens in absurden Situationen grandios scheitert.

Das Vorgehen, Seitenhiebe in alle Richtungen auszuteilen, wendet der Film in eindrucksvoller Weise auch auf formaler Ebene an. Keppler stellte eine kurze Sammlung zusammen, verwies auf das Musical, den Abenteuer-, Dschungel- und sogar auf den Zombiefilm und demonstrierte so die Verkehrung der Konventionen ganzer Filmgattungen in falschen Zitaten durch Viva Maria.

Im letzten Teil ihres Vortrags nahm Keppler dann zwei einzelne Szenen in den Blick und verband so abschließend noch einmal ganz konkret die Selbstermächtigung der weiblichen Hauptfiguren mit der Inszenierung von Gewalt, die sich wiederum durch die auf besondere Weise ironisierenden Geste des Films auszeichnet.

In der Diskussion, die sich an die Filmvorführung anschloss, wurde abschließend auch der Entstehungskontext des Films erörtert, indem sowohl seine politischen Andeutungen als auch mögliche Verbindungen zur Nouvelle Vague angesprochen wurden.

Diese Vorlesungsreihe wird mit dem nächsten Vortrag ihren Abschluss finden. Am 16. Juli 2014 spricht James Conant von der University of Chicago über den Film Psycho von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1960.

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