Warten auf Weisung von höherer Dienstebene
Gedämpfte Zuversicht: Thomas Pogge umgrenzt in der Frankfurter Alten Börse die Verantwortung der Banken für die Weltarmut
Der Vortrag eines philosophischen Ethikers im Herzen der Hochfinanz weckt gemischte Gefühle. Das Verdienst, den in der Krise ausgefallenen Dialog zwischen Ethik und Ökonomie nachzuholen, steht gegen ein leises Unbehagen am gesellschaftlichen Rahmen. Wird der Gast eine moralische Rechnung präsentieren, die der Gastgeber entrüstet zurückweist? Thomas Pogge, Philosophieprofessor in Yale, war im Rahmen einer Vortragsreihe des Exzellenzclusters "Normative Ordnungen" an die Frankfurter Alte Börse gekommen, um über die Verantwortung der Banken für die Armut auf der Welt zu sprechen. Marcus Willaschek von der Frankfurter Philosophiefakultät stellte ihn als Spezialisten für die Übersetzung abstrakter ethischer Erwägungen in konkrete Handlungsvorschläge vor. Pogge ist Mitglied zahlreicher Initiativen und Gremien im Kampf gegen die Weltarmut.Sein Zugang war soziologisch und zahlengesättigt. 842 Millionen Menschen auf der Welt sind unterernährt, zwei Milliarden ohne Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten, eine Million ohne ausreichend Trinkwasser. Armut liegt an der Wurzel von einem Drittel aller Todesfälle auf der Welt. Das Interesse des Westens an dieser Not hat Grenzen. Pogge entnahm diese Einschätzung den Millennium-Entwicklungszielen, mit denen sich die Vereinten Nationen zur Jahrtausendwende auf eine Halbierung der Zahl der Unterernährten verpflichteten. Die Zielparameter wurden in der Vergangenheit aber immer wieder so verschoben, dass eine leicht negative Entwicklung plötzlich als Fortschritt erschien. Mal änderte sich die Bezugsgröße, mal der Zeitrahmen. Die Reichen, schloss Pogge, sind den Armen der Welt keine verlässliche Stütze.
Das widersprach dem Argument, das Börsenchef Reto Francioni in seinem Grußwort angeführt hatte: dass nämlich der Gewinn des einen nicht auf Kosten des anderen gehe und alle Weltregionen an der Effizienzorientierung der Banken in Form gewachsenen Wohlstands profitierten. Francioni hatte auch vor einer Überfrachtung mit Ansprüchen gewarnt, sollte sich der Bankhandel auf unquantifizierbare ethische Vorgaben verpflichten. Thomas Pogge erließ ihm diese ethische Selbstverpflichtung. Die Stellung im Wettbewerb mache den Banken gewinnorientiertes Handeln im Interesse ihrer Kunden zur Pflicht und gebiete ihnen sogar, die Spielregeln zu ihren Gunsten auszulegen. Die Korrekturen müssten von höherer Stelle kommen. Hier steht wiederum der Lobbyismus im Weg. Wie sehr die Mächtigen und Finanzstarken das Regelwerk in ihrem Sinn beeinflussen, lässt sich am steigenden Graphen des amerikanischen Lobby-Index ablesen oder an einigen nackten Relationen: In zwanzig Jahren haben die reichsten fünf Prozent der Weltbevölkerung so viel hinzugewonnen, wie die ärmere Hälfte am Ende der Periode übrig hatte. 0,01 Prozent der amerikanischen Bevölkerung verfügten über genauso viel Einkommen wie die relativ armen fünfzig Prozent. Das Armutsproblem, im Prinzip lösbar, scheitert am Fehlen eines geeigneten Akteurs. Pogge erklärte es mit gedämpftem Optimismus zur Sache internationaler Institutionen.
Man konnte sich darüber wundern, dass er die Banken nicht einmal zur Aufgabe ihrer Bremsmanöver gegen die laufenden Versuche anhielt, den Finanzmarkt krisenfest zu machen, oder zum Verzicht auf Manipulation und Risikohandel. Darf eine philosophische Ethik das Handeln eines Akteurs restlos dem Konkurrenzprinzip subsumieren? Die tiefer liegende Frage, warum der Westen überhaupt die Pflicht hat, seinen Reichtum mit anderen zu teilen (zumal große Teile der Entwicklungshilfe versanden oder in die Privatschatullen von Diktatoren wandern), hatte Reto Francioni mit einem Verweis auf Kant angedeutet, dem Pogge nicht folgte. Die Klippen im Gespräch der Kulturen lassen sich auch umschiffen, indem man sich wechselseitig die eigene Rolle überlässt.
THOMAS THIEL
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. November 2013
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