"Mehr Aufklärer als Nazi-Jäger"
FRANKFURT. Fritz Bauer sei vor allem ein radikaler Demokrat gewesen und im Rückblick eine Schlüsselfigur der jungen Demokratie in der Bundesrepublik - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gestern in der Frankfurter Paulskirche den vor 50 Jahren verstorbenen hessischen Generalstaatsanwalt als einen Mann gewürdigt, dem es nicht so sehr darum gegangen sei, Täter der Nazi-Verbrechen zu bestrafen, als vielmehr darum, aufzuklären, wie es dazu kommen konnte. Die von Bauer initiierten Auschwitz-Prozesse seien Wegmarken in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen.
1956 hatte der damalige Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) Bauer von Braunschweig, wo er nach seiner Rückkehr aus der Emigration zunächst als Ankläger arbeitete, nach Frankfurt geholt. Zinn unterstützte Bauer in der Auffassung, die Täter müssten vor Gericht gestellt werden, um Zeichen gegen die sich in Zeiten des Kalten Krieges ausbreitende Bereitschaft zu setzen, die Schrecken der Diktatur zu verdrängen.
Steinmeier erinnerte gestern während des Gedenkaktes vor mehr als 200 Gästen - unter ihnen die Großnichte des Geehrten - daran, dass Bauer damals von seinen Gegnern gefürchtet gewesen sei. Respekt für seine Arbeit sei ihm zu Lebzeiten meist versagt geblieben. Bauers Antrieb war laut dem Bundespräsidenten der Gedanke, dass es einer Verhöhnung der Millionen Opfer gleichkäme, wenn man nicht versuchte, möglichst viele der Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Würde dieser "streitbare Geist" auf die Bundesrepublik heute schauen, dann würde er wohl zu der Erkenntnis kommen, Deutschland sei der demokratische Rechtsstaat geworden, um den er so gekämpft habe. Und er würde den Staat, an dem er damals mitunter verzweifelte, gegen aufkommenden Hass und Verächtlichmachung der Institutionen verteidigen, fügte Steinmeier hinzu.
Auch Tarek Al-Wazir (Die Grünen), Hessens stellvertretender Ministerpräsident, sieht eine Erkenntnis aus der Arbeit Bauers darin, dass Zukunft Erinnerung brauche. So sei sogar im Hessischen Landtag die NS-Vergangenheit früherer Abgeordneten erst vor einigen Jahren aufgearbeitet worden. Deutschland müsse weltoffen bleiben, und es dürfe kein Platz sein für jene, welche die Menschenrechte missachteten, sagte Al-Wazir mit Blick auf die Debatte um Migration. Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) erinnerte daran, dass Bauer, der Goethe liebte und dem Humanismus verpflichtet war, an Frankfurt damals eine Atmosphäre geschätzt habe, die geprägt worden sei von den Lehren Adornos und Horkheimers zur Gesellschaftskritik. Der Generalstaatsanwalt habe es genossen, zu diskutieren, vor allem mit jungen Leuten.
Aus Sicht der Direktorin des Fritz Bauer Instituts, Sybille Steinbacher, ist der so vielseitig interessierte Jurist auch heute noch so bedeutend, weil er es geschafft habe, die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit trotz aller Widerstände in der Kultur der Bundesrepublik zu etablieren. Weshalb das Wirken Bauers eigentlich erst Ende der neunziger Jahre - das nach ihm benannte Institut zur Erforschung des Holocaust wurde 1995 in Frankfurt gegründet - allgemein anerkannt wurde, erklärte der Historiker Norbert Frei gleichsam mit dem langen Marsch der Generationen durch die Institutionen. Als Bauer, der jüdische hessische Generalstaatsanwalt, seine Nachforschungen anstellte, die bis in höhere Kreise der Politik und der Justiz reichten, hätten dort schon wieder nicht wenige aus der "Funktionselite" der Nazis gesessen. Später hätten jene übernommen, die aufgrund ihrer Kriegserfahrungen eher nüchtern auf die NS-Diktatur zurückschauten. Und die Bewegung der Achtundsechziger habe eher abstrakt die Schuld ihrer Eltern angeprangert.
Heute sei Fritz Bauer einer der wenigen, sagte Frei, die dem Ringen um diese Vergangenheit ein Gesicht gäben. Man müsse ihn aber nicht überhöhen, das hätte ihm nicht gefallen. Das brauche es auch nicht, Fritz Bauer sei ein Held.
Helmut Schwan, Frankfurt Allgemeine Zeitung, 02.07.2018, Titelseite Rhein-Main-Zeitung (Rhein-Main-Zeitung), Seite 29. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv