Was genau hat Gott gegen offenes Haar?
Wer sich für islamische Mode begeistert, sollte ihre repressive Seite nicht verkennen.
Von Susanne Schröter
Die Ausstellung "Contemporary Muslim Fashion", die am 4. April im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt eröffnet wird, löst schon jetzt unterschiedliche Reaktionen aus. Während die einen die ästhetischen Darstellungen verhüllter weiblicher Models als Bekenntnis zu kultureller Vielfalt feiern, sehen andere darin die Verharmlosung einer islamistischen Genderordnung.
Das ist nicht überraschend. Seit 1997, als die damalige Lehramtsanwärterin Fereshta Ludin vor Gericht zog, um mit Kopftuch in einer staatlichen Schule unterrichten zu können, debattieren wir über muslimische Bekleidungsregeln. Der Aspekt der Mode gehört zu den neueren Aspekten in der Kontroverse. Sogenannte Hijabistas inszenieren die Hijab genannte muslimische Kopfbedeckung als cooles Accessoire, die Werbung hat die kopftuchtragende Frau entdeckt, und eine internationale Modeindustrie erzielt mit muslimisch gekennzeichneten Produkten Millionengewinne. Haben diejenigen recht, die im Kopftuch nichts anderes sehen als eine neue Stufe gesellschaftlicher Heterogenität, die neben einer Frau im Tanktop auch der Muslimin Platz einräumt, die sich aus freien Stücken entschieden hat, ihren Körper zu verhüllen, und dabei auch noch attraktiv aussieht?
Ich habe islamische Mode vor mehr als zehn Jahren in Indonesien bei einem Spaziergang kennengelernt, als zwischen unscheinbaren Zweckbauten unversehens eine stark geschminkte Frau auf High Heels in meinem Blickfeld erschien. Sie trug ein atemberaubendes bodenlanges Kleid mit einer kunstvollen Kopfbedeckung und posierte gerade für einen Fotografen. Ich sprach sie an, und sie lud mich zu einer Modenschau ein, von der sie gerade gekommen war. Fasziniert fand ich mich kurz darauf inmitten Dutzender von Frauen und Mädchen wieder, die sich in aufwendig gestaltete Gewänder gehüllt hatten, die ausschließlich das Gesicht und die Hände frei ließen. Es war überwältigend. Ein Rausch von Farben, glitzernden Applikationen und seidig schimmernden Stoffen.
Auf meine Nachfragen erfuhr ich, dass der Event von einer islamistischen Partei organisiert worden war, die gerade landesweit für strengere Bekleidungssitten kämpfte. Unter anderem brachte sie ein sogenanntes Antipornographie-Gesetz im Parlament ein, das alles zu Pornographie erklärte, was das Begehren eines Mannes reizen könne. Drunter fallen je nach Auslegung traditionelle Trachten, T-Shirts, kurze Röcke, enge Hosen oder Bikinis. Ein Verstoß gegen dieses Gesetz kann hart bestraft werden.
Die Modenschau fand in der Provinz Aceh statt, die kürzlich das gesamte Rechtssystem an die Scharia angepasst hatte. Das Kopftuch ist seitdem für Frauen Pflicht und für Mädchen Teil der Schuluniform. Ein Distriktchef meinte, dass auch Hosen nach islamischem Recht für Frauen nicht statthaft seien, und drohte jeder Frau, die ihren Körper nicht mit einem langen Gewand bedeckte, mit Vergewaltigung. Männer, so die Begründung, würden von weiblicher Haut, Haaren und ihren Körperumrissen sexuell so erregt, dass sie sich nicht mehr im Griff haben könnten. Die Schuldfrage bei sexuellen Übergriffen war so schon mal geklärt.
Doch die Verschleierungsdoktrin kam nicht allein. Sie war Teil eines Pakets von Maßnahmen, die allesamt der Eindämmung "unislamischen" Verhaltens dienen. Dazu zählten eine umfassende Geschlechtertrennung sowie das Verbot von nichtehelichem Sex und von Homosexualität. Eine Scharia-Polizei patrouilliert Tag und Nacht, um diejenigen zu verhaften, die sich nicht an die strenge Ordnung halten. Dann drohen drastische Strafen. Im Jahr 2005 begann man mit öffentlichen Auspeitschungen. Aceh gilt nach einer Selbstbeschreibung seiner Bewohner als "Terrasse Mekkas", und man ist stolz auf seine islamische Gesinnung.
In anderen Teilen Indonesiens ist es noch nicht so weit, wenngleich Hardliner auch hier mit Erfolg versuchen, islamische Normen zu implementieren. Zuallererst geht es dabei immer um das Kopftuch und die Bedeckung weiblicher Körper. Noch vor wenigen Jahren war die Mehrheit der muslimischen Indonesierinnen unverschleiert, trug Jeans und kurzärmlige Blusen. Jetzt sind es immer mehr verhüllte Frauen, einige davon sogar mit dem Gesichtsschleier. Der Druck nimmt zu. Es gab Übergriffe von fanatisierten jungen Männern auf Frauen, die ihre Haare in der Öffentlichkeit nicht bedeckten. In einigen Fällen rasierte man ihnen den Kopf, um sie zu demütigen.
Verhüllungen gelten vielen indonesischen Muslimen mittlerweile als moralisch rein, offene Haare als schandhaft. Das fängt bereits bei Kindern an. Mit unbedeckten Haaren herumrennen und mit Jungen spielen ist mancherorts gar nicht mehr möglich. Sittsam sollen sie sein, die kleinen Mädchen, und darauf achten, dass sie sich nicht entblößen. Zeitlich parallel zu dieser Verschärfung der Regeln für Mädchen und Frauen begann eine islamische Modeindustrie zu boomen. Frauenmagazine überschwemmten den Markt, auf denen den Käuferinnen verdeutlicht wurde, dass sie die Quadratur des Kreises zu leisten hätten: Auf der einen Seite erwarteten islamische Autoritäten, dass sie sich bedeckten, auf der anderen Seite erwarteten die Ehemänner eine verführerische Frau.
Die Lösung war die islamische Mode, gern auch als bescheidene Mode definiert, obgleich die Stoffe und teuren Applikationen eher das Gegenteil zeigen. Der Begriff zielt denn auch weniger auf die Kleidung als auf die Frauen, denen die Unterwerfung unter eine religiös begründete Ordnung auferlegt wird, die sie in mehrfacher Weise gegenüber Männern benachteiligt.
In vielen muslimisch geprägten Ländern hat sich mittlerweile eine islamische Modeindustrie etabliert. In allen diesen Ländern wurden gleichzeitig normative Zwänge durchgesetzt, denen Frauen und Mädchen im Namen des Islam, unterworfen werden. Stets führte das zu Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit und zu vielfachen Diskriminierungen. Doch was ist mit den Hijabistas, den Frauen, die in Europa und den Vereinigten Staaten selbstbewusst das Kopftuch tragen und Verhüllung als Style-Element präsentieren? Sind sie nicht das stoffgewordene Gegenargument?
Hier tut Differenzierung not. Selbstverständlich gibt es Frauen, die sich aus eigenem Antrieb für einen Schleier und vielleicht auch für eine weitgehende Verhüllung des Körpers entscheiden. Dass muss ohne Wenn und Aber akzeptiert werden. Einige dieser Frauen verstehen sich sogar als Feministinnen und treten aktiv gegen jede Art der Benachteiligung von Frauen und Mädchen ein. Auf einer individuellen Ebene gibt es viele Gründe dafür, sich "islamisch" zu kleiden.
Diese individuelle Ebene muss allerdings von einer gesellschaftlichen unterschieden werden. Das Kopftuch ist nämlich keineswegs nur ein Modeartikel, sondern wird, auch in der Eigendefinition der Hijabistas, als von Gott verhängte Pflicht verstanden. Und genau hier beginnt das Problem. Wenn Gott den Frauen die Bedeckung von Kopf und Körper verordnet hat, dann verstößt jede Muslimin, die kein Kopftuch trägt, gegen diese Vorschrift. Wenn diese Vorschrift zusätzlich mit Vorstellungen von Ehrbarkeit begründet wird, dann sind wir bei der sattsam bekannten Dichotomie zwischen schamhaften und schamlosen Frauen, zwischen gottesfürchtigen und ungläubigen, zwischen denen, die angeblich das Himmelreich erwerben, und jenen, denen man die Hölle prophezeit.
Auch in einer freien Gesellschaft wie der unsrigen ziehen solche Zuschreibungen erhebliche Repressionen für muslimische Frauen und Mädchen nach sich. Sie führen zu religiösem Mobbing in Schulen, zur Abwertung von Frauen und Mädchen, die sich den religiös begründeten Regeln nicht unterwerfen, und in vielen Fällen sogar zu Gewalt. Das sollte bedacht werden, wenn man sich von islamischer Mode begeistern lässt, deren Anblick unzweifelhaft einen ästhetischen Genuss darstellt, einen Genuss allerdings, der das darunterliegende repressive Korsett im wahrsten Sinn des Wortes verschleiert.
Die Autorin lehrt Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und leitet dort das Forschungszentrum Globaler Islam.
Von Susanne Schröter aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 3.April 2019, Feuilleton, Seite 11. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv