Wiederbelebung einer großen Kinokultur

Deutsch-afrikanischer Austausch: Das Frankfurter Modell eines Film-Studiengangs wird nach Nigeria exportiert

FRANKFURT. Wenn ein gutes Produkt sich auf dem Markt behaupten kann, wird es über kurz oder lang exportiert. So ist es jetzt mit dem Masterstudiengang "Filmkultur - Archivierung, Programmierung, Präsentation", der seit dem Wintersemester 2013/14 an der Goethe-Universität in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filminstitut und Filmmuseum (DFF) angeboten wird. Die Absolventen des Studiengangs, der Theorie und Praxis kombiniert, sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt.
Von September an werden afrikanische Studenten die Möglichkeit haben, nach dem Frankfurter Modell Filmkultur und vor allem Archivierung in einem Masterprogramm zu erlernen: Mit dem Berliner Arsenal Institut für Film und Videokunst haben die Partner DFF und Goethe-Universität sich 2018 zusammengetan, um vier Jahre lang für das "Archival Studies Master Program Jos" in Kooperation mit der Nigerian Film Corporation, dem National Film Institute of Nigeria und dem National Film, Video and Sound Archive in Jos den Studiengang aufzubauen. Finanziert wird das Projekt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst aus dem Programm "Transnationale Bildung".
Nach dem Modell "Training the Trainers" wird derzeit an der Weiterbildung der afrikanischen Kollegen gearbeitet. Noch bis Ende des Monats pendeln die beiden nigerianischen Fachleute Justina Omojeve vom National Archive for Film, Video and Sound und Dan Ella, der an der University of Jos Film in Theorie und Praxis lehrt, sowie zwei ihrer Kollegen zwischen Wiesbaden, Frankfurt und Berlin. Dort eignen sie sich die Methoden des Masterstudiengangs Filmkultur und die Arbeitsweisen des DFF sowie des Berliner Arsenals an.
Geplant ist, so Vinzenz Hediger, seit 2011 Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität, ein Austausch in beide Richtungen. In den nächsten drei Jahren sollen afrikanische und europäische Dozenten auch gemeinsam lehren, ein Studentenaustausch soll etabliert werden. Nicht zuletzt soll es dem hiesigen Kinopublikum ermöglicht werden, das afrikanische Filmerbe zu entdecken. Bei den diesjährigen Berliner Filmfestspielen war das erste Mal frisch digitalisiertes Material aus Nigeria präsentiert worden.
Denn Nigeria, das den Spitznamen "Nollywood" trägt, ist die zweitgrößte Filmnation der Welt - gleich nach Indien und noch vor den Vereinigten Staaten. Schätzungen zufolge werden jedes Jahr gut 1000 Filme produziert. "Im Grunde möchte jeder in Nigeria irgendetwas mit Film machen", sagt Dan Ella. Allein an seiner Hochschule gibt es 500 Filmstudenten. Aber Film ist in Nigeria, wie überhaupt in Afrika, bisher ein kurzlebiges Medium: Gedreht vor allem mit kleinen Digitalkameras, werden die Filme auf DVD gebrannt, weiterverbreitet und dann, sehr oft, rasch wieder vergessen. Und selbst große Werke bekannter Regisseure sind schon wenige Jahre nach ihrer Produktion schwer zu finden. Ganz zu schweigen vom Filmerbe auf Zelluloid, das, soweit es überhaupt noch vorhanden ist, bisher kaum archiviert, erforscht und gezeigt wird. Wenn es überhaupt in seinen Ursprungsländern vorhanden ist. Das, was an frühem Film aus Afrika noch vorhanden ist, muss man oft in europäischen Archiven suchen - eine weitere Nachwirkung des Kolonialismus.
Auch das europäische und amerikanische Filmerbe weist große Lücken auf, vieles ist verschollen, weil in den Anfangsjahrzehnten der mit 120 Jahren noch jungen Kunst- und Wirtschaftsform Film auf das Archivieren wenig Wert gelegt worden war. Kriege und wirtschaftliche Krisen beeinflussten ebenfalls das Bewusstsein für den historischen Wert des Films. Strategien, die hierzulande etwas früher eingesetzt haben, sollen jetzt auch die Erschließung des afrikanischen Filmerbes ermöglichen, und der Studiengang soll nach dem Willen der Initiatoren über Nigeria hinausreichen.
"Wir müssen diese Filme bewahren, sonst stirbt die Geschichte", sagt Justina Omojeve vom nigerianischen National Archive for Film, Video and Sound. Nur fünf ausgebildete Archivare wie sie gebe es derzeit in Nigeria. Der Bedarf aber ist groß, und gerade wird das Nationalarchiv in einem Neubau in Jos eingerichtet. Eine mobile Digitalisierungsstation dort soll künftig auch in der Ausbildung der Filmkultur-Studenten eingesetzt werden. Die ersten 25 wird Omojeve von September an unterrichten.
Vor allem das Zelluloid-Archiv des DFF in Wiesbaden hat es ihr angetan - und dort haben sie und Ella tatsächlich historisches Material aus Nigeria sichten können. Das Filminstitut, so Hediger, trage in der Entwicklung des nigerianischen Masters die gesamte archivarische Ausbildung, die akademischen Lehrpläne würden mit der Goethe-Universität erstellt.
Bislang, sagt Dan Ella, könne er seinen Studenten allenfalls punktuell und auf Video historische Werke nahebringen. Kino als gemeinschaftliches Erleben von Originalfilmen existiere in Nigeria, das eine große Filmtheaterkultur hatte, fast gar nicht mehr. Nun erhoffen Ella und Omojeve sich auch ein Wiedererwachen dieser Kultur - ihre Studenten könnten dazu beitragen.

EVA-MARIA MAGEL

Von Eva-Maria Magel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14. Mai 2019, Hochschule (Rhein-Main-Zeitung), Seite 36. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.


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