Frankfurter Gesichter - Mamadou Diawara

Frankfurt und er, das ist eine lange Geschichte. Als Postdoktorand ist Mamadou Diawara 1986/87 das erste Mal an der Goethe-Universität gewesen, mit einem Alexander von Humboldt-Forschungsstipendium. Eike Haberland, der damalige Direktor des Frobenius-Instituts, hatte ihn eingeladen. Heute ist Diawara stellvertretender Direktor des Frobenius-Instituts. Und seit 2004 der erste afrikanische Ethnologe auf einem deutschen Lehrstuhl.
"Frankfurt ist meine Heimat", sagt er. Seit 16 Jahren lebt er hier, die drei Söhne sind hier flügge geworden. Und für Diawara steht fest, sollte später sein Haus in Bamako wieder mehr ins Zentrum rücken, Frankfurt wird für ihn Anker bleiben, seine Frau und er haben hier viele Freunde gefunden. Und dass man sofort raus ins Grüne gehen kann, Fahrrad fahren an der Nidda entlang etwa, schätzt Diawara sehr. Ganz abgesehen von den Verbindungen in Forschung und Lehre, in denen er von Frankfurt aus tätig ist - vom Zentrum für interdisziplinäre Afrikaforschung über den Forschungsverbund "Normative Orders" bis hin zu dem von ihm gegründeten, mit der Universität verzahnten Forschungszentrum in Bamako.
Diawara lehrt am Institut für Ethnologie der Goethe-Universität und schwärmt vom guten Austausch mit den Studenten. Geboren ist er in Nioro, ganz im Westen Malis an der mauretanischen Grenze, sein stets optimistisches Naturell leitet er auch aus dieser Tatsache ab - er sei eben ein "Sahel-Mensch". Nach dem Master an der École Normale Supérieure de Bamako ging er zur Promotion nach Frankreich. Von dort, nach der Station am Frobenius-Institut, 1990 nach Bayreuth, wo er sich habilitierte. Dort lehrte er, mit Abstechern unter anderem ans Wissenschaftskolleg zu Berlin, und wurde Professor in Yale, bevor es nach Frankfurt ging.
Interaktion und Netzwerk sind Diawara, der seine Arbeit oft als Gewebe oder Brückenbau beschreibt, enorm wichtig. Vor allem bei Point Sud, dem Zentrum, das er selbst 1997 mit Startmitteln der Volkswagenstiftung gegründet hat und dessen Direktor er ist. Point Sud, mit Sitz in Mali, baut Brücken, vor allem zwischen Forschern aus Afrika, Europa und Amerika, und ermöglicht dem wissenschaftlichen Nachwuchs vor allem der Sahelzone die Aus- und Weiterbildung. Nun entsteht ein erstes Postdoktoranden-Programm für afrikanische Nachwuchswissenschaftler. Mehr als 1000 Teilnehmer zählt Point Sud bislang, lokales Wissen der Sahelzone und Westafrikas stehen im Zentrum, aber stets in Verbindung mit der Globalisierung, mit Wissenstransfers und neuen Medien. Das Forschungsspektrum reicht von Ebola bis zur Sicherheitslage in der Sahelzone, hochaktuelle Themen.
Auch Diawara selbst hat die Gegenwart und Zukunft im Blick: "Oral history", mündliche Überlieferung, ist seit Beginn einer seiner Schwerpunkte. Er befasst sich mit der Arbeitsmigration, weniger dem, was Europäer sich darunter vorstellen, sondern jener höchst erfolgreicher Geschäftsleute, die von Afrika nach Asien auswandern. Überhaupt hat er auf das brennende Thema der chinesisch-afrikanischen Interaktion schon lange ein Auge. Auch die derzeit viel diskutierte Frage der Restitution von Objekten ethnologischer Institute und Museen betrachtet er als Wissenschaftshistoriker: Unrechtmäßig Erworbenes nur zurückzugeben, sei zu banal und greife zu kurz: Die Provenienzgeschichte berge die Chance, eine schlafende Wissenschaft zu wecken.
Er ist keiner, der auf jedem Podium sitzt, um überall seine Meinung zu sagen. Wenn er es doch einmal tut, dann wohlabgewogen, pointiert und mit leisem Humor. Immer aus seiner Wissenschaft, der Ethnologie und Anthropologie heraus. Einen "Handwerker" nennt er sich gern: Einer, dessen Handwerk nun mal die Wissenschaft sei.

Von Eva-Maria Magel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11.07.2020, Frankfurt (Rhein-Main-Zeitung), Seite 34. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv


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