Die Frontfrau
Nicola Fuchs-Schündeln ist die Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik. Ihr großes Anliegen wird auf der anstehenden Jahrestagung des Vereins ein zentrales Thema sein: Mehr Frauen in die Ökonomie!
Eigentlich ist Nicola Fuchs-Schündeln eine sehr sachliche Person. Sie mag keine Werturteile, mischt sich nicht in die politische Debatte ein, hält sich mit persönlichen Kommentaren zurück. Wer ihre Einschätzung zu aktuellen ökonomischen Fragestellungen hören möchte, bekommt Zahlen und Verweise auf Studien serviert. Das liegt nahe: Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin, genauer gesagt Professorin für Makroökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre eigene Gesinnung spielt in ihrem Selbstverständnis als Forscherin und in ihrer Außendarstellung keine Rolle.
Sobald es aber um die Frage geht, warum es neben ihr so wenige andere Frauen an den Wirtschaftsfakultäten gibt, kommt eine andere Seite zum Vorschein. Auch in diesem Fall zählt sie erst einmal die rationalen Argumente für eine aktive Frauenförderung in den Wirtschaftswissenschaften auf, spricht von der Gleichverteilung der Talente und davon, dass viel wissenschaftliches Potential verlorengehe. Aber dann wird sie auch ein wenig persönlich, nennt die Frauenförderung ihr "Herzensthema", sagt, sie wolle jungen Frauen "ein Vorbild sein" und "Mut machen", den Karriereweg an den Unis einzuschlagen.
Fuchs-Schündeln geht voran, sie ist die Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, der größten Ökonomenvereinigung im deutschsprachigen Raum. Als erst zweite Frau in der fast hundertfünfzigjährigen Geschichte des Vereins hält sie diese Position. Weniger als 20 Prozent der Mitglieder sind Frauen. Viel zu wenig, wie sie findet. Seit ihrem Antritt Anfang 2019 hat sie es sich zur Agenda gemacht, diesen Anteil zu erhöhen. Ein kleiner Schritt auf diesem Weg ist das Thema, dem sich die Jahrestagung des VfS auf ihr Betreiben hin dieses Mal widmet: "Gender Economics". Von Sonntag an werden Volkswirte an vier Tagen ihre neuesten Forschungsergebnisse dazu präsentieren, inwieweit Geschlechterfragen volkswirtschaftliche Prozesse beeinflussen.
Dass Frauen anders sind als Männer, ist mehr als eine Binse. Sie wählen nicht nur andere Berufe, arbeiten weniger Stunden und übernehmen einen größeren Teil der Sorgearbeit. Unterschiede zwischen den Geschlechtern treten in allen wirtschaftlichen Kontexten auf: Löhne und Karrierewege unterscheiden sich stark zwischen Männern und Frauen. Auch ihre Wahlmöglichkeiten und Präferenzen unterscheiden sich. Für Ökonomen wirft das spannende Fragen auf mit hoher wirtschaftspolitischer Relevanz: Welche Auswirkungen haben Steuern oder Kinderbetreuungseinrichtungen auf die Arbeitsmarktergebnisse von Männern und Frauen? Welche Rolle spielen soziale Normen und Geschlechterstereotype? Oder welche Maßnahmen fördern wirksam den beruflichen Erfolg von Frauen? Die in diesem Jahr virtuellen Veranstaltungen der Jahrestagung sollen Antworten darauf geben. In einem Panel und mehreren Workshops wird es aber auch konkret um die Situation der Frauen in den Wirtschaftswissenschaften gehen.
Als Wissenschaftlerin ist Fuchs-Schündeln, Jahrgang 1972, zur Frontfrau einer jungen Generation an Ökonomen geworden, die sich von alten Denkschulen verabschiedet hat und stattdessen Antworten in der empirischen Datenanalyse sucht. Ihr Interesse gilt vor allem Arbeitsmarktfragen, dem Konsum- und Sparverhalten von Haushalten und den Gründen für individuelle Präferenzen. Ihre meistzitierte Untersuchung stammt aus dem Jahr 2007, als sie gemeinsam mit dem hochangesehenen Harvard-Ökonomen Alberto Alesina zeigte, dass Ostdeutsche auch nach der Wiedervereinigung einen starken Staat bevorzugten. Zuletzt hat auch sie mit ihrer Forschung einen Beitrag zum Thema "Gender Economics" geleistet, wenn auch per Zufall, als sie sich mit Haushaltsentscheidungen auf dem Arbeitsmarkt befasste. Ihr fiel auf, dass deutsche Frauen im internationalen Vergleich erstaunlich wenig arbeiten, und wollte wissen, warum das so ist. Ihre Antwort war eindeutig: Es liegt am deutschen Steuersystem.
Fuchs-Schündelns Karriere verlief wie am Schnürchen: Nach dem VWL- und Lateinamerika-Studium hat sie in Yale promoviert, war Assistenzprofessorin in Harvard und Gastforscherin in Stanford. Sie hat in den renommiertesten internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht und mehrere bedeutende Auszeichnungen gewonnen, unter anderen den Leibniz-Preis, den wichtigsten Preis für Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum, sowie zwei hochdotierte Forschungsstipendien der Europäischen Union. Sie ist Vorsitzende der Fachzeitschrift "Review of Economic Studies", die zu den berühmten Top Five der wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen zählt, und Fellow der Econometric Society, eine Ehre, die bisher nur wenigen deutschen Wirtschaftswissenschaftlern zuteilgeworden ist. Außerdem sitzt sie im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums und ist Mitglied eines neu gegründeten deutsch-französischen Expertenrats für Wirtschaft.
Trotz der Bilderbuchkarriere, über die es genug zu sagen gibt, ist die Zahl ihrer Kinder in Artikeln über sie ein häufiges Thema. Was ihr Mann beruflich macht, ebenfalls. Es gehört zum Gesamtbild dazu, kann man verteidigend sagen. Es ist eine große Leistung, sich als Ökonomin ein derartiges Renommee zu erarbeiten und dabei noch drei Kinder großzuziehen - muss das nicht auch erwähnt werden? Fuchs-Schündeln ist da ambivalent. Bei männlichen Kollegen spiele die Zahl der Kinder seltener eine Rolle. Wenn durch die Erwähnung ihres Privatlebens ihre Forschung in den Hintergrund rückt, ist ihr das nicht recht.
Stärker in die Öffentlichkeit drängt es die Makroökonomin indes nicht. Als die Bundesregierung Anfang des Jahres zwei Wirtschaftswissenschaftlerinnen für den Rat der "Wirtschaftsweisen" suchte, war sie die erste Wahl. Man fragte sie gleich zweimal. Fuchs-Schündeln sagte beide Male ab. Zu den Gründen schweigt sie sich aus. Man kann sie aber erahnen. Auf einem solchen Posten verschieben sich die Prioritäten. Dann geht ein Großteil der Zeit für Politikberatung drauf.
Sie hat andere Dinge vor. Zuletzt war die Wissenschaft, auch wegen ihrer Aufgabe im VfS, etwas in den Hintergrund gerückt. Zum Jahresende übergibt sie den Vorsitz an den Berliner Ökonomen Georg Weizsäcker. Dann will sie sich wieder stärker ihrer Forschung widmen. Gerade hat sie ein Arbeitspapier über die langfristigen Effekte der Schulschließungen auf die Kinder veröffentlicht. "Corona hat viele neue, spannende Fragestellungen aufgeworfen", sagt sie. Man darf gespannt sein.
Von Maja Brankovic aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. September 2020, Unternehmen (Wirtschaft), Seite 22. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv