Warum lieben ihn so viele?

Auf diese Frage können Medienwissenschaftler eine Antwort geben: Das Phänomen Trump ist nicht politisch, sondern nur fantheoretisch zu verstehen.

Als George W. Bush im Januar 2009 das Weiße Haus verließ, lag seine Zustimmungsrate noch bei 22 Prozent. Katrina, der Irak-Krieg, die globale Finanzkrise, die er mit seiner Deregulierungspolitik begünstigt hatte: die Liste von Bushs Fehlleistungen war lang, und er bezahlte dafür einen Preis. Donald Trump hingegen schien lange Zeit gegen die Folgen seines Tuns immun - zumindest so lange, bis er sich mit dem Covid-19-Virus, das er so lange beharrlich heruntergespielt oder ignoriert hatte, selbst infizierte. Rund vierzig Prozent der Amerikaner hielten und halten in unverbrüchlicher Treue zu ihm, obwohl die Bilanz seines Regierungsversagens die Stümpereien Bushs im Rückblick schon fast als Kavaliersdelikte erscheinen lässt.
Woran das liegt? Die Politikwissenschaft steht, so scheint es, vor einem Rätsel. Parteiloyalität wird mitunter als Erklärung angeführt, doch die hätte auch Bush vor dem Zerbröseln seines Rückhalts schützen müssen. Dass Trump die Kulmination von vierhundert Jahren institutionalisiertem Rassismus sei und seine Attraktivität für einen Teil der Wähler in der Schamlosigkeit bestehe, mit der er dieses vergiftete Erbe verkörpere und verteidige, lässt sich aus Arbeiten von Historikern wie Heather Cox Richardson oder Walter Johnson als Erklärung herleiten. Möglicherweise aber kann der Politikwissenschaft am besten die Medienwissenschaft aus ihrem Erklärungsnotstand helfen, und da namentlich die Abteilung für die Erforschung von Phänomenen der Fankultur.
Ein Journalist des "Economist" stattete jüngst einer Gruppe von jüngeren Trump-Wählern im "swing state" Ohio einen Besuch ab und stellte fest, dass diese gewerkschaftlich organisierten Bauarbeiter mit sicheren, gutbezahlten Jobs, ausnahmslos Weiße, von den Erfolgen von Trumps Präsidentschaft zutiefst überzeugt waren. Die Mauer sei gebaut (ist sie nicht), das Problem der Krankenversicherung für alle gelöst (eine Alternative zu Obamacare hat Trump nie vorgelegt und stattdessen die bestehende Lösung sabotiert), und China sei mit Strafzöllen in die Knie gezwungen worden (die Strafzölle gibt es, aber sie werden von amerikanischen Konsumenten und Steuerzahlern bezahlt, in Form von Preisaufschlägen und Staatssubventionen für Bauern in Iowa, die auf ihren Sojaexporten sitzenbleiben, weil China diese als Gegenstrafe nicht mehr abnimmt). So viel alternative Faktizität müsste in den Betroffenen zumindest jenes vage Unwohlsein auslösen, das in der Sozialpsychologie den Namen "kognitive Dissonanz" trägt. Aber davon keine Spur. Stattdessen reines Wohlbefinden, ja Enthusiasmus. Sichtlich ratlos gab der Journalist diesen Wählern einen Namen, der wohl halb herablassend, halb spöttisch gemeint war, mit dem er aber den Kern der Sache traf: Er bezeichnete sie als "Trump-Fans".

Fan-Loyalität fängt Abstürze auf

Ein Fan ist laut dem "American Heritage Dictionary" von 2007 ein "ardent devotee: an enthusiast". Fans gibt es im Sport, in der Musik, im Theater und im Bereich von Film und Fernsehen. Wissenschaftlich beforscht wurden Fans und ihr Verhalten denn auch zunächst in der angelsächsischen Film- und Fernsehwissenschaft, wo sich dieser Forschungsstrang aus den Cultural Studies der Birmingham School um Stuart Hall entwickelte. Früh schon verfestigte sich in dieser Literatur eine zentrale Einsicht: Fantum ist eine produktive Aneignung von Populärkultur; Fans verhalten sich zu den Figuren und Werken, denen ihr Enthusiasmus gilt, in dem sie selbst Werke und Texte hervorbringen - seien dies nun Gemälde, Gedichte, Collagen, Comics, kleine Filme oder Fanfiction-Romane. "Textual poachers", Text-Wilderer, nannte Henry Jenkins sie entsprechend in seiner grundlegenden Studie gleichen Namens von 1992.
Zu den sichersten Anzeichen dafür, dass Trump im Fokus einer aktiven Fankultur steht, zählen die zahlreichen Fan-Artefakte, die ihm gewidmet sind und im Internet zirkulieren. Das Spektrum reicht von den Gemälden von Jon McNaughton, die Trump als christusähnliche Figur ins Kitsch-Repertoire sozialrealistischer Americana eintragen, über Liebeserklärungen in Manga-Comic-Form bis hin zu Youtube-Videos, die sich an die bekannte Erzählform des Hollywood-Kinotrailers anlehnen und Trump in Montagen von TV-Nachrichten-Material als Actionhelden im Kampf gegen dunkle Mächte wie den diabolischen Obama oder die hexenhafte Nancy Pelosi inszenieren, die aktuell wieder Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus ist.
Präsidenten-"Fan-Art" gab es natürlich auch schon für charismatische Figuren wie Kennedy, Reagan, Clinton oder Obama. Man denke an das "Hope"-Poster von Shepard Fairey, das zu einer Ikone des Wahlkampfs 2008 wurde. Bei Trump hat das Phänomen aber eine neue Qualität und ein neues Ausmaß bekommen. Ein Grund dafür liegt darin, dass Trump - was ja immer wieder und besonders von seinen Anhängern als sein Wettbewerbsvorteil hervorgehoben wird - kein konventioneller Politiker ist. Von den früheren Präsidenten, mit denen er eine gewisse Verwandtschaft aufweist, namentlich von Reagan, unterscheidet Trump, dass er (wie der Fernsehkritiker der "New York Times" James Poniewozik in seinem Buch "Audience of One" argumentiert) eine reine Medienfigur ist. Reagan war ein ehemaliger Schauspieler, der das Cowboy-Image auf die Präsidentschaft übertrug, aber er war als langjähriger Präsident der Hollywood-Schauspielergewerkschaft und Gouverneur von Kalifornien von 1966 bis 1969 auch ein erfahrener und mit vielen Wassern gewaschener Politiker. Bill Clinton hat der Musikkritiker Greil Marcus einmal zum "politischen Elvis" erklärt, und Little Rock, Arkansas, liegt auch nicht weit von Memphis, Tennessee. Aber Clinton war in erster Linie ein "policy wonk", ein Detailfanatiker mit Leidenschaft für Sachgeschäfte und die Umsetzung von Gesetzesinitiativen. Trump hingegen ist, wie die Bekanntmachung seiner Steuererklärung jüngst vollends bestätigte, noch nicht einmal ein erfolgreicher Unternehmer. Er ist vielmehr ein Anti-Unternehmer, ein Genie nicht der Wertschöpfung, sondern der Wertvernichtung, die Verkörperung schlechthin von George Batailles These, dass das eigentliche Ziel der kapitalistischen Akkumulation ein Exzess der Verschwendung sei. Allerdings hat Trump einen erfolgreichen Unternehmer gespielt, und zwar in der fraglos machtvollsten populärkulturellen Form des frühen 21. Jahrhunderts, im Reality TV.
Es ist nun aber gerade diese Tatsache, dass Trump zunächst eine Medienfigur ist, die Fanloyalität auf sich zieht, die ihn gegen die Diskrepanz zwischen seinem Image und seinem Leistungsausweis immun macht und die ihn auch als Politiker das Auseinanderklaffen von Auftreten und Amtsführung aushalten lässt. Verständlich wird das dann, wenn man seine Anhänger nicht primär als herkömmliche, rational ihre Eigeninteressen mit dem politischen Programm eines Politikers verrechnende Wähler versteht, sondern eben als Fans, die sich zu ihm als Star verhalten. Stars stürzen immer mal wieder ab, und zum Genuss des Fanwesens gehört, dem Idol auch in schwierigen Phasen emotional zur Seite zu stehen, ihm das Geschenk der anhaltenden Loyalität zu machen und ihn dadurch vielleicht sogar wieder auf die Beine zu bringen. Auch Drogenabhängigkeit gehört zum Startum; man denke an all die frühverstorbenen Rockstars von Janis Joplin bis Kurt Cobain. Ob es nun zutrifft, dass Donald Trump regelmäßig Amphetamine konsumiert oder nicht - das Gerücht einer möglichen Abhängigkeit allein reicht aus, um die Bindung der Fans an die Figur Trump noch einmal zu stärken. Ohnehin ähnelt Trump mit seiner Verachtung für herkömmliche Anstandsregeln eher einem Rockstar, der sein Hotelzimmer in Trümmer legt, als einem herkömmlichen Politiker. Transgressionen, die jede andere Politikerkarriere sogleich beenden würden, die aber zum Verhaltensrepertoire von Rock- und Filmstars gehören, sind für die Figur Trump identitätsbildende Merkmale.

Ein Präsident nur für seine Wähler

Zu den Hinterlassenschaften Trumps könnte es gehören, dass er Politik und politische Zugehörigkeiten in fankulturellen Kategorien in einem bislang ungekannten Maß als leidenschaftliche Existenzformen neu definiert. Trump ist bekanntlich der erste echte Minderheitenpräsident der Vereinigten Staaten. Nur eine Minderheit der Wählerschaft gab ihm seine Stimme, was aber bekanntlich reichte, weil das Wahlsystem Stimmen der weißen Mittelschicht außerhalb der großen urbanen Zentren, die Trump wählte, deutlich stärker gewichtet als andere. Im Unterschied aber etwa zu George W. Bush, der in seiner ersten Amtszeit auch keine Mehrheit der Wähler hinter sich wusste, aber immerhin behauptete, der Präsident aller Amerikaner zu sein, gibt sich Trump noch nicht einmal den Anschein, das Allgemeinwohl fördern zu wollen. Vielmehr vertritt er konsequent nur die Interessen der Wähler, die ihm gewogen sind, und entlang dieser Leitunterscheidung politisiert er zugleich alle anderen Lebensbereiche.
Man könnte versucht sein, darin einen Wiedergänger der Freund-Feind-Unterscheidung Carl Schmitts zu erkennen. Doch obwohl Evangelikale und rechte Katholiken zu seinen größten Fans gehören, kommt Trump ohne politische Theologie aus. Attitüde reicht. Die Art und Weise wie Trump seine Anhänger die Unterscheidung zwischen Ingroup und Outgroup erfahren lässt, erinnert aber noch eher an die ostentative gegenseitige Verachtung, mit der sich Punks und Popper in den 1980ern begegneten, in der Dekade, in der im Übrigen auch Donald Trump erstmals im Fernsehen auftrat, oder an die Straßenschlachten zwischen Skins und Punks, die in dieselbe Zeit fallen.
Ob Trump die anstehende Wahl verliert oder von den Asymmetrien des Wahlsystems erneut begünstigt wird: Es wäre wohl an der Zeit zu erwägen, ob es im politikwissenschaftlichen Propädeutikum nicht auch einen Platz für eine Einführung in "Fan Studies" geben sollte.

Vinzenz Hediger ist Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt.

Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Oktober 2020, Feuilleton, Seite 11. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv


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