Pressemitteilungen

„Earth for all“: Club of Rome fordert Kehrtwende

Vortrag und Podiumsdiskussion mit den Co-Autoren des Berichts Johan Rocktröm und Jonathan Donges vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

FRANKFURT. Seit mehr als 50 Jahren setzt sich der Club of Rome, dem Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern angehören, für die nachhaltige Entwicklung der Menschheit und des Planeten Erde ein. Der erste von ihm beauftragte Bericht erschien 1972 unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Diese Studie über die Zukunft der Weltwirtschaft fand weltweit große Beachtung; nicht zuletzt war sie ausschlaggebend für die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Club of Rome im Jahr 1973.

2022 ist ein neuer Bericht erschienen: „Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten“. Um diesen Bericht, der die wichtigsten sozial-ökologischen Maßnahmen skizziert, die das Überleben der Menschheit ermöglichen würden, geht es

am Montag, 8. Mai, um 16 Uhr
im Gebäude „Normative Ordnungen“
auf dem Campus Westend der Goethe-Universität
(Max-Horkheimer-Straße 2, 60323 Frankfurt am Main).

Der Co-Autor des Berichts und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Prof. Johan Rockström und sein Kollege Dr. Jonathan Donges werden den Bericht vorstellen.

Anschließend diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Goethe-Universität und des Potsdam-Instituts über den Inhalt des Berichts und die darin entwickelten konkreten Handlungsleitlinien für eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft. Auf dem Podium: die Soziologin Prof. Barbara Brandl (Goethe-Universität), der Klimaforscher Dr. Jonathan Donges (Potsdam-Institut),
der Politikwissenschaftler Prof. Darrel Moellendorf (Goethe-Universität), der Jurist Prof. Tobias Tröger (Goethe-Universität), die Physikerin Prof. Dr. Ricarda Winkelmann (Physik, Potsdam-Institut) und die Nachhaltigkeitsforscherin Prof. Flurina Schneider (Goethe-Universität und Institut für sozialökologische Forschung Frankfurt), die die Diskussion auch moderieren wird.

Initiiert wurde die Veranstaltung von Forscherinnen und Forschern, die sich für die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung in Frankfurt engagieren: Prof. Henner Hollert (Biowissenschaften), Dr. Helge Kminek (Erziehungswissenschaft), Prof. Matthias Lutz-Bachmann (Philosophie), Prof. Darrel Moellendorf (Politikwissenschaft), Dr. Philipp Schink (Philosophie).

Der einführende Vortrag von Johan Rockström (online zugschaltet) und Jonathan Donges findet auf Englisch statt, die anschließende Diskussion auf dem Podium und mit den Zuhörerinnen und Zuhörern auf Deutsch. Aufgrund von begrenzten Sitzplätzen ist die Teilnahme nur nach vorheriger Anmeldung möglich (siehe unten).

Anmeldung zum Vortrag bei Ellen Nieß unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.">Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


Information:
Beate Sutterlüty
Wissenschaftskommunikation
Forschungskolleg Humanwissenschaften
Telefon 06172 13977-15
Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)
www.forschungskolleg-humanwissenschaften.de

Das Dilemma der technologischen Postmoderne

Der US-amerikanische Philosoph und Verfassungsrechtler Bruce Ackerman spricht bei den Frankfurt Lectures des Forschungszentrums „Normative Ordnungen“

FRANKFURT Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Physik in Aufruhr. Heisenbergs Unschärferelation und Einsteins Relativitätstheorie haben eine neue Ära eingeläutet – indem sie unter anderem die Newtonschen „Gesetze“ in Frage stellen, die die Grundlage des aufklärerischen Denkens gewesen sind. Eine Vielzahl von Denker:innen und Künstler:innen hat sich mit den weitreichenden Folgen dieser wissenschaftlichen Neudefinition der Realität auseinandergesetzt – so auch die französischen und deutschen Existentialisten. Was lehren sie uns über unsere Zeit, eine Zeit der tiefgreifenden Ungewissheit?

Die diesjährigen Frankfurt Lectures des renommierten US-amerikanischen Philosophen und Verfassungsrechtlers Bruce Ackerman konzentrieren sich auf eine kritische Gegenwartsdiagnose in den Vorträgen

„Postmodern Predicaments“
am 8. und 9. Mai, jeweils um 18.15 Uhr
im Hörsaalzentrum, HZ5,
auf dem Campus Westend der Goethe-Universität.

In zwei Einzelvorträgen, „How Real is Virtual Reality?“ (am 8. Mai) und „The Genetic Lottery“ (am 9. Mai) behandelt der Sterling Professor of Law and Political Science an der Yale University Ackerman die Ideen der Existentialisten als eine entscheidende Ressource in der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Herausforderungen: Wie kann ein sinnvolles Leben in einer durch die High-Tech-Revolution veränderten sozialen Welt gestaltet werden?

Die Vorträge beruhen auf Ackermans demnächst erscheinendem Buch „The Post-Modern Predicament“ (Yale University Press). In diesem geht es darum, wie Menschen ihr Leben in der sogenannten „schönen neuen Welt“ des einundzwanzigsten Jahrhunderts selbst in die Hand nehmen können. Ackerman geht dabei davon aus, dass Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und andere Denker:innen des 20. Jahrhunderts zum Verständnis der Herausforderungen für die Grundlagen einer liberal-demokratischen Gesellschaft beitragen können.

Bruce Ackerman ist Sterling-Professor für Recht und Politikwissenschaft an der Yale University und Autor zahlreicher Bücher im Bereich der politischen Philosophie, des Verfassungsrechts und öffentlichen Rechts. Zu seinen wichtigsten Werken gehören "Social Justice in the Liberal State" und die mehrbändige Verfassungsgeschichte "We the People" sowie „Die Stakeholder-Gesellschaft“.
Ackerman ist zudem „Commandeur des Ordre national du Mérite“ der Französischen Republik und Fellow der American Academy of Arts and Sciences. Die American Philosophical Society hat ihn mit dem Henry Phillips Prize for Lifetime Achievement in Jurisprudence ausgezeichnet.

Die Vorträge finden auf Englisch statt und sind öffentlich. Der Eintritt ist frei.


Weitere Informationen
Anke Harms
Referentin für Wissenschaftskommunikation des Forschungszentrums „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
069/798-31407
www.normativeorders.net

Was die Frankfurter Schule zur Lage der Gesellschaft sagt

Neue Veranstaltungsreihe von Kulturdezernat und Normative Orders

Was sagt die Kritische Theorie der „Frankfurter Schule“ zur gegenwärtigen Lage der Gesellschaft – ob lokal, national oder international? Das Forschungszentrum „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität und das Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main bieten den derzeitigen Vertreterinnen und Vertretern der berühmten Denkschule ein Podium: In der Reihe „Frankfurter Schule“ werden aktuelle Themen diskutiert.

FRANKFURT. Gesellschaftliche Normen, in Institutionen und Ordnungen manifestiert, bilden das Fundament unseres sozialen und politischen Zusammenlebens. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich die sogenannte Frankfurter Schule vorgenommen, diese Normen und ihre Widersprüche im Sinne einer umfassenden „Kritischen Theorie“ ganzheitlich und (ideologie-)kritisch in den Blick zu nehmen – eine Herangehensweise, deren Bedeutung und internationale Wirkmacht bis heute ungebrochen sind. Doch was sagt die Frankfurter Schule, die Gesellschaftsanalysen stets mit Ideologiekritik verbunden hat, zur derzeitigen Lage der Gesellschaft? Welche Antworten gibt die sogenannte „dritte und vierte Generation“ auf weltweite Krisen und Konflikte?

Darum soll es in einer neuen Veranstaltungsreihe gehen, zu der das Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main und das Forschungszentrum „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität von März an gemeinsam einladen. Der Titel der neuen Reihe lautet „Frankfurter Schule“. Zu Gast sind Persönlichkeiten, die – geschult am „Frankfurter Denken“ – Position beziehen zu aktuellen Problemlagen. Kooperationspartner der einzigartigen Reihe sind das Institut für Sozialforschung, das Museumsufer Frankfurt und hr2-kultur.

Bei der Auftaktveranstaltung

am Montag, 20. März, um 18 Uhr
im MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST
Domstraße 10, 60311 Frankfurt am Main

sprechen der Philosophieprofessor Christoph Menke (Goethe-Universität, Normative Orders) und der Autor Cord Riechelmann über das Thema „Was ist Befreiung?“. Im Mittelpunkt des Abends steht Menkes erst jüngst im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch Theorie der Befreiung. Darin geht der Philosoph von der Diagnose aus, dass bisherige Befreiungsbewegungen stets in neue Abhängigkeitsordnungen gemündet seien und zeigt auf, wie Freiheit und Herrschaft unauflöslich miteinander verwoben sind.

Christoph Menke, geboren 1958 in Köln, hat Germanistik und Philosophie in Heidelberg und Konstanz studiert, wo er 1987 promoviert wurde. Die Habilitation Tragödie im Sittlichen. Hegel und die Freiheit der Moderne erfolgte 1995. Seit 2009 ist er Professor für Praktische Philosophie mit Schwerpunkt Politische Philosophie und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität und Mitglied des Forschungszentrums „Normative Ordnungen“.

Cord Riechelmann, geboren 1960 in Celle, studierte Biologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Er war Lehrbeauftragter für das Sozialverhalten von Primaten und für die Geschichte biologischer Forschung. Außerdem arbeitete er als Kolumnist und Stadtnaturreporter für die Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

 „Die Kritische Theorie ist heute wichtiger denn je. Aber eine Denktradition kann nur bestehen bleiben, wenn sie sich fortentwickelt. Sie muss nicht nur auf neue soziale, gerade auch globale, Herausforderungen eingehen, sondern hat, das ist das Besondere an dem Frankfurter Ansatz, einen umfassenden systematischen Anspruch. Auch dieser muss stetig überdacht werden; er läuft im Kern darauf hinaus, die Unvernunft dessen sichtbar zu machen, was im konventionellen Sinne als vernünftig gilt. Was das konkret bedeutet, wollen wir im Dialog mit der Stadtgesellschaft diskutieren“, sagt Prof. Rainer Forst, Direktor des Forschungszentrums Normative Ordnungen, zum Start der Reihe.

„Die Frankfurter Schule hat Frankfurt und die deutsche Nachkriegsöffentlichkeit geprägt wie keine andere Denkschule sonst und entscheidend dazu beigetragen, dass sich eine demokratische Öffentlichkeit herausbilden konnte“, sagt Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig. Die freiheitliche Ordnung, in der wir heute leben, sei dabei nicht weniger umstritten als in jenen Jahren. „Es gibt drängende Fragen unserer Zeit. Und es gibt Antworten, kritische Antworten, Frankfurter Antworten. Die Gesellschaft braucht den kritischen Blick der Frankfurter Schule, um Lösungen für aktuelle Probleme zu finden – etwa das Auseinanderdriften von Arm und Reich oder die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft“, so Hartwig weiter.

Susanne Pfeffer, Leiterin des MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, gab ihrer Freude Ausdruck, dass die neue Diskussionsreihe in Frankfurter Kultureinrichtungen stattfinden soll. „Museen sind wichtige Orte, um Diskussionen zu führen. So haben wir eine weitere Möglichkeit, einen Beitrag zu einer relevanten Thematik in der Stadt zu leisten.“

Die Reihe wird quartalsweise in den Frankfurter Museen fortgesetzt, beginnend im MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST.

Ein Ort, der vom Streben nach Demokratie erzählt

Vortragsreihe an der Goethe-Universität widmet sich der Paulskirche als demokratischem Erinnerungs- und Diskursort

Das 175-jährige Jubiläum der Nationalversammlung hat eine Debatte über die Zukunft der Paulskirche ausgelöst, des historisch symbolträchtigsten Ortes der Demokratie in Deutschland. Die Vortragsreihe „Das Bauwerk der Demokratie. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Paulskirche als politisches Symbol“ des Forschungszentrums „Normative Ordnungen“ im Rahmen der Deutschen Bank-Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“ will einen Beitrag zur Debatte leisten.

FRANKFURT. 1848 kam in der Paulskirche das erste national gewählte Parlament zusammen – das es sich zur Aufgabe machte, eine demokratische Nation zu gründen. Nach vielen Kompromissen kam 1849 ein Verfassungsvorschlag zustande – der dann aber an den politischen Kräfteverhältnissen der Zeit scheiterte. Die Paulskirche ist mithin ein dialektischer politischer Ort: Er zeugt von den Versuchen demokratischer Anfänge und Gründungen wie auch vom Scheitern derselben, ohne dass die Hoffnung, es möge einst gelingen, ausgelöscht werden konnte.

Im Zuge des anstehenden 175-jährigen Jubiläums der Nationalversammlung im Mai 2023 wird eine breite gesellschaftliche Debatte zur Zukunft der Paulskirche geführt. Ziel ist, die Paulskirche in den kommenden Jahren zu sanieren und sie in Verbindung mit dem Bau eines ‚Hauses der Demokratie‘ zum demokratischen Erinnerungs- und Diskursort zu machen.

Einen Beitrag zur aktuellen Debatte leisten will die Vortragsreihe „Das Bauwerk der Demokratie. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Paulskirche als politisches Symbol“, die

am 3. Mai, um 18:15 Uhr
auf dem Campus Westend, Hörsaal HZ 3,
mit dem Vortrag
„Eine neue Welt voll Wunder”: Demokratische Lebensformen in Zeiten der Revolution,
von Prof. Dr. Till van Rahden (Montréal) beginnt.

Neben konkreten Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Frankfurter Paulskirche soll die Vortragsreihe besonders die Fragen aufgreifen, die dieser Ort der Demokratiegeschichte an uns heute stellt. Sprechen werden ausgewiesene Expert*innen zu einer Reihe zentraler demokratischer Themen.

Zum Abschluss der Reihe findet in der Paulskirche eine Podiumsdiskussion mit dem Thema Das Bauwerk (bzw. die Baustelle) der Demokratie statt. Es diskutieren: Peter Cachola-Schmal (Deutsches Architekturmuseum/angefragt), Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Goethe-Universität, Normative Orders und Leibniz-Institut Hessische Friedens- und Konfliktforschung), Prof. Dr. Rainer Forst (Goethe-Universität, Normative Orders), Mike Josef (Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt), Volker Kauder (ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages) und Staatsministerin Claudia Roth (Staatsministerin für Kultur und Medien/angefragt). Moderieren wird Rebecca Caroline Schmidt (Goethe-Universität, Normative Orders).

Die Vorlesungsreihe des Forschungszentrums „Normative Ordnungen“ findet statt im Rahmen der Deutschen Bank-Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“, unter Federführung von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff und Prof. Dr. Rainer Forst.

Weitere Termine und Themen:

7. Juni
Prof. Dr. Andreas Fahrmeir, Goethe-Universität
Demokratie, Nation und Europa – damals und heute

21. Juni
Prof. Dr. Sabine Freitag, Universität Bamberg
Die Paulskirche und die Herausforderung demokratischer Erinnerung

28. Juni
Prof. Dr. Tine Stein, Universität Göttingen
Grundrechte und demokratische Gründungen im Lichte der Paulskirche

5. Juli
Prof. Dr. Miriam Wenzel, Jüdisches Museum und Goethe-Universität
Wer wählt? Wer spricht? Wer setzt sich durch? Zum Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation und Partizipation in der deutschen Demokratiegeschichte

12. Juli, Paulskirche
Podiumsdiskussion: Das Bauwerk (bzw. die Baustelle) der Demokratie
Peter Cachola-Schmal (Deutsches Architekturmuseum), Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Goethe-Universität, Normative Orders und Leibniz-Institut Hessische Friedens- und Konfliktforschung), Prof. Dr. Rainer Forst (Goethe-Universität, Normative Orders), Mike Josef (Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt), Volker Kauder (ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages), Staatsministerin Claudia Roth (Staatsministerin für Kultur und Medien/angefragt). Moderation: Rebecca Caroline Schmidt (Goethe-Universität, Normative Orders).

Die Vorträge finden jeweils um 18:15 Uhr auf dem Campus Westend, Hörsaal HZ 3, statt; die Abschlussdiskussion lädt Interessierte in die Paulskirche.

Weitere Informationen
Anke Harms
Referentin für Wissenschaftskommunikation des Forschungsverbunds „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
069/798-31407
www.normativeorders.net

Aktuelle Nachrichten aus Wissenschaft, Lehre und Gesellschaft in GOETHE-UNI online (www.aktuelles.uni-frankfurt.de)

Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der drei größten deutschen Universitäten. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Mainz ist die Goethe-Universität Partner der länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main. www.goethe-universitaet.de

Herausgeber: Der Präsident der Goethe-Universität Redaktion: Pia Barth, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Büro für PR & Kommunikation, Theodor-W.-Adorno-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, Telefon 069 798-12481, Fax 069 Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Normative Pandemie: Freiheit quergedacht ist auf den Hund gebracht

In der Diskussion um die Impfpflicht droht eine lebensgefährliche Verwirrung der Begriffe: Freiheit und Gesundheit sind kein Gegensatz. Ein Gastbeitrag.

Von Rainer Forst

Fragen des Gesundheitsschutzes sind zu Grundfragen des politischen Zusammenlebens geworden. Wir sind von einer Diskussion über Gerechtigkeit zu einer über Demokratie und Solidarität übergegangen und inzwischen bei der Freiheit gelandet. Das ist angesichts der Debatte über moralische und rechtliche Impfpflichten folgerichtig. Es droht aber die Verdopplung der physischen Pandemie durch eine normative Pandemie, die unsere Köpfe verwirrt.
Dies drückt sich in Entgegensetzungen von „Freiheit versus Gemeinwohl“ aus, welche die Botschaft aussenden, die individuelle Freiheit bestehe darin, tun und lassen zu können, was man will, ganz gleich ob es andere schädigt oder nicht, während die Maßnahmen, welche die Gesundheit schützen, angeblich nicht die Freiheit befördern, sondern eine abstrakte Größe, die „Gemeinwohl“ genannt wird.
In dieser Feier dessen, was man klassisch Willkürfreiheit nennt, werden drei wesentliche Dimensionen der Freiheit unterschlagen: erstens unsere politische, demokratische Freiheit, zweitens die moralische Freiheit der Verantwortung und drittens die Bedingungen individueller Freiheitsausübung. Eine solche Unterschlagung deutet auf soziale Regression hin, weil sie mit einem Selbstverständnis einhergeht, das ein vernünftiges, demokratisches Zusammenleben unmöglich macht.
Unsere politische Freiheit wird dort übersehen, wo pandemiebedingte Vorsorgemaßnahmen, sofern sie rational gerechtfertigt und demokratisch beschlossen wurden, nicht als Ausdruck kollektiver Selbstbestimmung betrachtet werden, sondern als freiheitsfeindliche Akte einer staatlichen Autorität, die sich zum paternalistischen Bewahrer kollektiver Güter (Gesundheit, Solidarität) aufschwingt. Unsere moralische Freiheit wird dort ausgeblendet, wo die Idiosynkrasie bis hin zur Rücksichtslosigkeit (etwa der Maskenverweigerung) als wahre Freiheit geehrt und dabei der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung gekappt wird.
Denn freies Handeln ist immer eines, das sich verantworten muss; zwar bleibt das Handeln, das sich der Rechtfertigung entzieht, auch ein freies, aber widersinnigerweise beruft es sich auf Selbstverantwortung, während es sie gleichzeitig negiert. Wer Freiheit primär dort lokalisiert, der kann Akte der Solidarität nicht als Akte der Freiheit begreifen, und darin liegt
eine Verarmung des Denkens.

Ein pandemischer Verfall

Schließlich zu den Bedingungen individueller Freiheitsausübung. Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, die Freiheit beschränken, sollen recht betrachtet Freiheit schützen und ermöglichen, wenn sie es Menschen, die Ansteckung fürchten, erlauben, ohne Angst in die Öffentlichkeit zu gehen, weil man dort Masken trägt oder geimpft beziehungsweise getestet ist. Die Freiheit von Bedrohung ist nicht nur als „Gut“ der Sicherheit zu betrachten, sondern eine echte Freiheit. Insbesondere die Freiheit von Krankheit (und Krankenhaus) ist eine wesentliche Freiheit, sogar eine Bedingung für die Wahrnehmung anderer Freiheiten.
Was wir fürchten müssen, ist ein pandemischer Verfall unseres Selbstverständnisses als demokratische Gesellschaft. Wer den libertär-autoritären Verquerdenkern den Begriff der Freiheit überlässt, die angeblich einem gewaltigen, freiheitsverschlingenden Obrigkeitsstaat gegenübersteht, der entwickelt normatives Fieber, das rasch wahnhaft steigen könnte. Die Rede von „Gesundheitsdiktatur“ ist Indiz dafür.

Ein horizontales Verständnis

Leider hat sogar das Bundesverfassungsgericht, als es die „Bundesnotbremse“ als verfassungskonform beurteilte, die Entgegensetzung von individuellen Freiheiten und einem das Gut der Gesundheit sichernden Staat ins Zentrum seiner Abwägung gestellt. Wörtlich heißt es im Urteil des Ersten Senats, dass die Grundrechtseingriffe verfassungsrechtlich legitimen Staatszwecken des „Lebens- und Gesundheitsschutzes“ im Sinne überragend wichtiger „Gemeinwohlbelange“ dienten. Das ist juristisch korrekt, legt aber terminologisch eine einseitige Freiheitsrechnung nahe.
Wenn wir unsere Rolle als Bürger einer Demokratie ernst nehmen, sollten wir uns nicht primär als Willkürsubjekte verstehen, die ihre quasi natürliche Freiheit gegen einen machtvollen Leviathan verteidigen müssen, sondern wir sollten uns als autonome Mitgesetzgeber denken: Selbstgesetzgebung ist der kantische Begriff hierfür. Und eine Demokratie verdient erst dann ihren Namen, wenn sie dies institutionell realisiert.
Daraus folgt ein horizontales Verständnis von Freiheitsrechten als Grundrechte, die wir einander als gleichgestellte normative Autoritäten zusichern müssen. Das heißt, dass jede Grundfreiheit an der Freiheit der anderen ihre Rechtfertigungsgrenze findet, dass also niemand einen legitimen Anspruch auf eine Freiheit hat, die andere in ihrer Freiheit unzulässigerweise begrenzt. Es verbietet sich dann die Freiheit, andere mit einem Virus anzustecken, das ich möglicherweise, ohne es zu wissen, tragen und weitergeben kann. Und ebenso die Freiheit, mich so verhalten, dass andere wahrscheinlich intensivmedizinisch nicht versorgt werden können.

Eine Frage der Relation

Wir haben es hier also nicht mit einem Konflikt zwischen staatlichem Gesundheitsschutz und individueller Freiheit als Grundrecht zu tun, sondern mit einer Abwägung zwischen der Freiheit des einen und der anderer. Man hat etwa das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit, aber nicht das Recht, durch die Stadt zu rasen. Die Gesundheit ist kein zu schützendes Gut neben der Freiheit; sie ist Bedingung und Teil meiner Freiheit. Wer mir die Gesundheit nimmt, nimmt mir meine Freiheit – negativ als Freiheit von körperlicher Beeinträchtigung, positiv als Freiheit, mein Leben zu führen, wie ich es mir vorstelle.
Daher ist es problematisch, die Pandemiebekämpfung so zu rechtfertigen, dass der paternalistische Staat, der sich der Volksgesundheit verschrieben hat, die Menschen vor sich selbst zu schützen sucht. Die Maßnahmen müssen vorrangig in Bezug auf andere gerechtfertigt werden; sind sie gerechtfertigt, beschränken sie zwar die Willkürfreiheit, nicht aber die Freiheitsrechte in ihrem eigentlichen Sinne, denn Rechte hat man nur als zu rechtfertigende.
Das heißt nicht, dass wir einander nicht riskanten Unternehmungen aussetzen dürfen, aber es heißt, dass wir als politische Gemeinschaft die Pflicht haben, dort, wo diese zu weit gehen, Normen zu setzen. Dann sind solche Beschränkungen zwar eine Begrenzung unserer Handlungsfreiheiten, nicht aber eine Einschränkung, sondern Ausdruck unserer Autonomie, und zwar drücken wir sie als Gesetzgeber und Rechtsadressaten zugleich aus, indem wir allgemein und reziprok gerechtfertigte Normen beschließen und befolgen.
Wo gute, moralisch relevante Gründe dafür-, aber nicht gleich gute dagegensprechen, kann eine Rechtspflicht begründet werden, auch die Pflicht, sich impfen zu lassen. Diejenigen, die sich diesbezüglich um die körperliche Unversehrtheit sorgen, sollten die Freiheit vom Impfen mit der Freiheit in Relation setzen, von Krankheit frei zu sein sowie von all den Eingriffen in die Freiheit und Unversehrtheit, die aus dieser Krankheit folgen können.

Rainer Forst ist Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Von Rainer Forst. Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Januar 2022, Feuilleton.


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Nicole Deitelhoff erhält LOEWE-Spitzen-Professur an Goethe-Universität und HSFK

Die Co-Sprecherin des Forschungszentrums "Normative Ordnungen" Prof. Nicole Deitelhoff erhält eine LOEWE-Spitzen-Professur des Landes Hessen. Wir freuen uns, dass diese Förderung ihre Forschungen zur Produktivität von Konflikten auch weiterhin fruchtbar machen wird. Weitere Informationen: Hier...

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Der Newsletter aus dem Forschungszentrum „Normative Ordnungen“ versammelt Informationen über aktuelle Veranstaltungen, Neuigkeiten und Veröffentlichungen. Zur zweiten Ausgabe: Hier...

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Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“ der Deutschen Bank AG: "Das Bauwerk der Demokratie": Prof. Dr. Andreas Fahrmeir (Goethe-Universität, Normative Orders): Demokratie, Nation und Europa – damals und heute. Mehr...

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Ringvorlesung "Das Bauwerk der Demokratie. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Paulskirche als politisches Symbol"

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