Doktorandengruppe, Leiterin: PD Dr. Stefanie Michels

Die Nachwuchsgruppe „Transnationale Genealogien“ untersuchte die Mobilität von Akteuren, Objekten und Ideen zwischen Afrika, Europa und den Amerikas unter der Frage, wie normative Ordnungen durch transnationale Bewegungen verändert werden, und wie sich diese aus unterschiedlichen Perspektiven darstellen. Die beteiligten Nachwuchswissenschaftler/innen setzten dabei die Aktionen und Reaktionen auf normative Ordnungen ins Zentrum. Dadurch wurden nicht nur die konfliktreichen Spannungen, Gegengeschichten und subversiven Nutzungen von normativen Ordnungen aufgezeigt, sondern auch die Pluralität verschiedener Rechtfertigungsnarrative und deren Interdependenz. Durch die genealogische Perspektive wird zudem der dynamische, aber dennoch historisch verbundene Charakter dieser Prozesse deutlich. Hierbei wurden außereuropäische Akteur/innen betrachtet und so nach den Spannungen zwischen aufeinandertreffenden normativen Ordnungen (wie beispielsweise Kolonialismus und afrikanische Ordnungssysteme) gefragt. Die Themen der Arbeiten wurden vor dem Hintergrund der kolonialen Verflechtungen Europas und Afrikas untersucht: Translokale und transgenerationale Familiengeschichten; Re/produktionsprozesse von transnationalen genealogischen Gemeinschaften (Benin, Haiti, Deutschland) durch Vodún-Praktiken; Die Krisenhaftigkeit des Rassismus in seinen kolonialen deutschen Konjunkturen und Debatten um geraubtes Kulturgut (Ikone des Pan-Afrikanismus im britischen Museum).

Ordnungsvorstellungen befinden sich in einem relationalen Verhältnis zu ihren Gegenbewegungen und reagieren auf diese. Im Anschluss an die Fragestellung der Forschungsgruppe zeigt sich, dass mobile Akteure durch ihre translokalen Erfahrungen mit unterschiedlichen normativen Ordnungen hegemoniale Normen oftmals herausfordern. Die Protagonist/innen dieser Bewegungen analysierten und diskutierten die vorgefundenen Ordnungen vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen und Vorstellungen von Ordnung, meist auch in interdependenten Perspektiven, die Rassismus, ökonomische Verhältnisse und Geschlechterverhältnisse gleichermaßen kritisierten. Diese Perspektiven bieten neben ihrer kritischen Analyse auch Vorstellungen alternativer Ordnungen z.B. von demokratischen Verhältnissen, denen Rassismus feindlich ist. Die in den einzelnen Projekten untersuchten Bereiche normativer Ordnungen sind das internationale Recht (Metzger), koloniale Ordnungsvorstellungen (Hamann), soziale Ordnungen in der Diaspora (Bokohonsi) und geneaologische Verflechtungen (Michels).

Ulrike Hamann hat in ihrer politik-theoretischen Arbeit Perspektiven ins Zentrum ihrer Untersuchung gestellt, die in einer kolonialen Ordnung des Rassismus marginalisiert waren. Die Texte dieser Akteur/innen wurden in Archiven und Nachlässen als Quellen erhoben. Über die Widersprüche und Interventionen von rassistisch hergestellten Subjekten wurden Schauplätze sichtbar, auf denen das Einschreiben einer Ordnung des Rassismus in die deutsche und in die kolonialisierten Gesellschaften umkämpft war. In der Dissertation wird sichtbar, dass sowohl in den kolonialisierten Gesellschaften, als auch im deutschen Kaiserreich selbst von Akteurinnen und Akteuren mit afrikanischer oder afro-amerikanischer Geschichte an einer Ordnung, die auf Rassismus beruhte, Widerspruch und Kritik geübt wurden. Die Strategien reichten von direkter Kritik an Begriffen und Stereotypen, politischen demokratischen Mitteln wie Petitionen, über diskursive Verschiebungen und Aneignungen hegemonialer Konzepte wie dem des Fortschritts. Außerdem zeigte sich an den jeweiligen Schauplätzen im Kaiserreich, Kamerun und dem heutigen Namibia, dass der moderne Antisemitismus den kolonialen Rassismus inspirierte und seine Entwicklung zur Regierungstechnologie beschleunigte. In Ha¬manns Arbeit lässt sich damit nachvollziehen, wie die koloniale Ordnung zunehmend biopolitisch durchgesetzt wurde. Sie sah sich jedoch Ordnungsvorstellungen gegenüber, die von Gleichheit ausgingen und eine Hierarchie der vermeintlichen ‚Rassen’ ablehnten. Die Dissertation ist erschienen als: Ulrike Hamann (2015): Prekäre Koloniale Ordnung. Rassistische Konjunkturen im Widerspruch. Deutsches Kolonialregime 1884-1914, Bielefeld: Transcript.

Auch Vodún verwies auf eine Ordnung außerhalb des jeweiligen Staates. In dem soziologisch und ethnologisch arbeitenden Projekt Parfait Bokohonsis zeigte sich, dass verschiedene Akteursgruppen, die sich durch Vodún in der Diaspora treffen, klare normative Vorstellungen davon haben, was Vodún ist, ohne dass daraus unbedingt eine gemeinsame Ordnung entsteht. Bokohonsi betrachtet Akteursstrategien, Wissensformen und Typen der Sozialorganisation. Legitimität durch Normen ist zentral in der Organisation von Vodún. Gleichzeitig ist das Feld höchst flexibel. Auf der einen Seite zeigte sich die historische Dynamik der Vodún-Ordnung durch die Bewegung verschiedener Akteure, zunächst im Kontext der Sklaverei in die Amerikas. Die haitianische Form des Voodoo ist – besonders im Kontext der haitianischen Revolution ab 1791 – weltweit bekannt geworden. Mobile Akteure treffen heute sowohl in Benin als auch in Europa auf veränderte und ko-existierende Normen im Vodún-Feld. So entsteht eine neue, wie Bokohonsi sagt, transnationale Dynamik des Normwandels. Die transnationale Aktivität der Akteure betrachtet Bokohonsi dabei als Ressource für sowohl die Gemeinschaftsbildung als auch für den jeweiligen sozialen Status in der Diaspora. Die Ergebnisse wurden publiziert als: Bokohonsi, Sênami Parfait (2012): „Vodún zwischen Religion und Politik. Zur Bedeutung der vorkolonialen politischen Strukturen in Benin“, in: Holger Zapf (Hg.): Nichtwestliches politisches Denken. Zwischen kultureller Differenz und Hybridisierung, Springer: Wiesbaden.

In der Arbeit von Ronja Metzger wurde das Feld der Akteure und Akteurinnen rund um aktuelle Auseinandersetzungen über einstiges koloniales Raubgut untersucht. Ihre ethnografische Forschung in Nigeria und Großbritannien brachte zutage, wie unterschiedlich Vorstellungen von Recht und Unrecht insbesondere vor dem Hintergrund des Kolonialismus auch heute noch sind. Insbesondere da die normative Ordnung, auf deren Grundlage diese Fragen heute verhandelt werden können, das internationale Recht, ebenso in einem Kontext kolonialer Macht entstanden ist. Metzgers Analysen zeigen allerdings deutlich, dass die Positionen sich nicht nur entlang der einstigen Trennungslinie von Kolonialmacht und Kolonisierten befinden, sondern dass sie sich durchaus vervielfältigt und veruneindeutigt haben.

Zu den wichtigsten Publikationen zählen außerdem:
Michels, Stefanie (2013): „Schutzherrschaft revisited - Kolonialismus aus afrikanischer Perspektive“, in: Andreas Fahrmeir/Annette Warner (Hg.): Die Vielfalt normativer Ordnungen. Konflikte und Dynamik in historischer und ethnologischer Perspektive. Frankfurt/M.: Campus, 243-274
Michels, Stefanie; Félix-Eyoum, Jean-Pierre; Zeller, Joachim (Hg.) (2011): Duala und Deutschland – verflochtene Geschichte: Die Familie Manga Bell und koloniale Beutekunst: Der Tangue der Bele Bele, Köln: Schmidt von Schwind Verlag, 33-41
Michels, Stefanie; Hamann, Ulrike (2011): "From Disagreement to Dissension. African Perspectives on Germany", in: Wulf D. Hund/Christian Koller/Moshe Zimmermann (Hg.), Racisms made in Germany (Yearbook Racism Analysis 2), 145-164
Bokohonsi, Parfait, Ulrike Hamann, Stefanie Michels, Ronja Metzger (2011): "’Plenty trouble!’" Was macht der Tangué aus Kamerun im Münchner Völkerkundemuseum?", Köln: Schmidt von Schwind Verlag, 38-40
Bokohonsi, Parfait, Ulrike Hamann, Ronja Metzger, Stefanie Michels „Koloniale Beutekunst und das andauernde Verstecken hinter rechtlichen Konzepten“, in: Forum Recht 3/2011: „Import/Export – Koloniales Recht und postkoloniale Perspektiven"
Hamann, Ulrike (2014): "A Historical Claim for Justice: Re-Configuring the Enlightenment for and from the Margins," in: Nikita Dhawan (Hg.), Decolonizing Enlightenment, Opladen: Barabara Budrich, 139-151
Metzger, Ronja (2011): „Kultur in der Debatte. Summer School der Ethnologen zu Gast an der Goethe-Universität“, (gemeinsam mit Kathrin Knodel), in: UniReport der Goethe-Universität (Frankfurt am Main) 5, 14

Die wichtigsten Veranstaltungen waren das Panel: „Mobile Akteure“ auf der Tagung der Vereinigung der Afrikawissenschaften in Deutschland (Universität Köln), Juni 2012; das Panel: „Mobile Akteure“ auf der Nachwuchskonferenz des EXC Normative Orders, November 2011; die Internationale Konferenz zum „(Post-)Kolonialismus zwischen Kamerun und Deutschland“ in Frankfurt/Main (in Kooperation mit der Universität Yaoundé, Kamerun) (eingeworbene Drittmittel: 14.000 EUR), September 2011; der Workshop „Entangled Histories“, Goethe-Universität, Januar 2010 und die Mitwirkung Ulrike Hamann an der FRCPS-Konferenz „Colonial Legacies, Postcolonial Contestations. International Graduate Conference“ 2011, Organisation und Moderation eines Panels.

Die Forschungsergebnisse der einzelnen Projekte sind – auch dank ihrer inhärenten Transdisziplinarität – in mehreren Forschungsfeldern anschlussfähig.
Für die Migrations- und Rassismusforschung ist die historisch hergeleitete Machtanalyse des Rassismus von Hamann ebenso von Interesse wie für die postkoloniale Theoriebildung und die Antisemitismusforschung. Aber auch die historische Forschung kann in Hamanns Arbeit sowohl zu Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland als auch zu deutscher Kolonialgeschichte eine fundierte Quellenaufarbeitung (u.a. zur kolonialen Stadtplanung in Kamerun) finden. Eine vertiefende Forschung zu schwarzen Perspektiven auf den deutschen Kontext zeitlich vor und nach der kolonialen staatlichen Ordnung wäre denkbar und wünschenswert.

Bokohonsis Arbeit hat vor allem wegen ihrer soziologischen Perspektive auf Religionspraktiken einen innovativen Impuls für sowohl die Diaspora-Forschung als auch die Religionssoziologie. Durch die ethnologische Methode der Feldforschung in Benin, Deutschland und Frankreich gewonnene empirische Daten bilden einen eigenen Beitrag zur Forschung in diesen Bereichen.
Die Forschungsarbeit Metzgers fächerte das Feld der Diskussion um koloniales Raubgut in seiner ganzen Breite auf. Sie bereicherte es durch umfangreiches Datenmaterial aus eigener Feldforschung und bietet damit einen Beitrag für alle Akteure und Akteurinnen, die sich mit ethnologischen Sammlungen, Museumspolitiken und postkolonialen Rückforderungen beschäftigen.
Stefanie Michels brachte die Ergebnisse ihrer Forschungen zur kosmopolitischen Familiengeschichte in internationalen Kontexten ein und trägt hier besonders zur begrifflichen Schärfung im Bereich der Globalgeschichte bei („Kosmopolitismus“, IEG Mainz; „Familie“, GHI London). Die Arbeit mit fotografischen Dokumenten der Familie Bell führte zu einer Erweiterung der Forschung in Richtung einer Globalgeschichte der Fotografie. Hierzu enstanden im Anschluss an das Projekt weitere Publikations- und Forschungsprojekte.


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