Leiter: Dr. Florian Rödl
Das Gesamtprojekt der Nachwuchsgruppe gliederte sich in drei Unterprojekte und ein Rahmenprojekt.
Zu den Unterprojekten: Die einzelnen Unterprojekte der Nachwuchsgruppe haben Phänomene der trans- und internationalen Rechtsentwicklung untersucht, in die zentrale gesellschaftliche Konflikte um eine rechtliche Verfassung transnationaler Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen eingeschrieben sind:
- die gegenwärtige Verdichtung des ver-völkerrechtlichten Schutzes ausländischer Investitionen,
- die Bemühungen um rechtliche Bindung transnationaler Konzerne an menschenrechtliche Garantien insbesondere des Arbeitsvölkerrechts,
- die ständige Expansion eines als autonome Rechtsordnung begriffenen transnationalen Handelsrechts.
Diese Phänomene sind einerseits im Lichte demokratischer Rechts- und Verfassungstheorie und andererseits im Lichte von Theorien internationaler politischer Ökonomie analysiert worden.
Das Projekt von Rhea Hoffmann untersuchte die aktuellen Entwicklungen im internationalen Investitionsschutzrecht. Ausgangspunkt ist die derzeitige Legitimationskrise der Institution von Investor-Staat-Verfahren, die im Bereich so genannter indirekter Enteignungen besonders augenfällig wird. Legitimationsprobleme resultieren hauptsächlich aus der institutionellen Ausgestaltung des Investor-Staat-Systems, der Widersprüchlichkeit von Schiedssprüchen und der Reichweite schiedsgerichtlicher Vorgaben für staatliche und das heißt immer auch potentiell demokratische Selbstbestimmung. Das Projekt widmete sich systeminternen Ansätzen und untersuchte diese kritisch hinsichtlich der Frage, ob sich mit ihrer Hilfe die Legitimationsprobleme des internationalen Investitionsschutzes lösen lassen. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen die Funktion des Investitionsschutzrechts im Kontext asymmetrisch verlaufender Globalisierung, die Notwendigkeit einer demokratischen Legitimierung des Verfahrens sowie die Problematik eines „gerechten“ Ausgleichs zwischen der Souveränität von Staaten und Investoreninteressen.
Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass das internationale Investitionsschutzrecht wesentlich die Funktion erfüllt, die für den modernen Staat charakteristischen Verfassungskompromisse zur Reichweite des Eigentums zugunsten unternehmerischer Eigentümer und zulasten gesetzlicher Schrankenbestimmung zu verschieben. Ein legitimer Investitionsschutz hätte sich demgegenüber auf die prozedurale Sicherung staatlicher Rechtsdurchsetzung zu beschränken.
Damit setzt sich die Arbeit in Kontrast zum herrschenden investitionsschutzrechtlichen Konsens, in dem die gegenwärtigen Auswüchse allenfalls eingehegt werden sollen, indem das Schiedsverfahren als internationale Verfassungsfunktion propagiert wird. Dadurch entsteht womöglich mehr Spielraum für demokratische Politik, aber es ändert sich nichts an der gesellschaftlich parteilichen Funktion des Investitionsschutzes. Es würde sich lohnen, diesen Kontrast noch einmal stärker herauszuarbeiten anhand anhängiger Streitverfahren (etwa Vattenfall vs. Bundesrepublik) und anhand der laufenden Verhandlungen um den Investitionsschutz im Rahmen einer transatlantischen Freihandelszone.
Zu den wichtigsten Publikationen des Unterprojekts zählen:
Hofmann, Rhea Tamara (2019): Divergenz und Transformation. Verfassungstheoretische Untersuchung des Eigentumschutzes in der demokratischen Eigentumsverfassung und im Investitionsschutzregime, Baden-Baden: Nomos.
Hofmann, Rhea Tamara (2013): „Universalismus oder Vollstreckung partikularer Interessen? Eigentum zwischen Menschenrecht, Investitionsschutz und demokratischem Eigentumskompromiss“, in: Juridikum 3/2013, 361-373.
Hofmann, Rhea Tamara (2013): „Rezension zu: Stephan W. Schill, International Investment Law and Comparative Public Law, Oxford“, in: Herrmann, Christoph; Krajewski, Markus; Terhechte, Jörg Philipp (Hg.), European Yearbook on International Economic Law 4, 583ff.
Hofmann, Rhea Tamara (2012): „Staatsschuldenkrisen im Euro-Raum und die Austeritätsprogramme von IWF und EU“, in: Kritische Justiz 45 (2012), 2-17 (mit Markus Krajewski).
Ausgangspunkt des Projektes von Sofia Massoud ist die allseits wahrzunehmende Problematik der Verletzung von Menschenrechten durch transnational agierende Konzerne. Gegenstand der Arbeit war die Frage nach der Möglichkeit einer rechtlichen Bindung von Konzernen an Menschenrechtsstandards, wobei sich der Fokus auf die Menschenrechtsgarantien des Arbeitsvölkerrechts richtet. Das Projekt setzte sich zu diesem Zweck mit bestehenden Ansätzen zur unmittelbaren völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Konzernen und alternativen Ansätzen freiwilliger Selbstverpflichtung auseinander, sowie mit dem Ansatz einer Verstärkung extraterritorialer staatlicher Schutzpflichten und dem Ansatz zivilrechtlicher Haftung; dazu wurden Begründungsmodelle und Durchsetzungsmöglichkeiten untersucht und Defizite herausgearbeitet. Zudem wurde der Rahmen weltwirtschaftlicher Ordnung kritisch untersucht, der den oft unthematisierten Rahmen des gegenwärtigen Diskurses um "Unternehmen und Menschenrechte" bzw. "Business and Human Rights" bildet. So konnte abschließend die Frage erörtert werden, ob der Menschenrechtsdiskurs auch als Legitimation der bestehenden (Wirtschafts-)Ordnung fungiert.
Die Untersuchung kam dabei zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der Ansatz zivilrechtlicher Haftung, durchgesetzt im Heimatstaat des Unternehmens de lege ferenda - erforderlich wären vor allem prozessrechtliche und gesellschaftsrechtliche Gesetzesänderungen - durchaus tauglich wäre, um gravierenden Menschenrechtsverletzungen effektiv zu begegnen. Auch der Ansatz einer Artikulation extraterritorialer Schutzpflichten erscheint nicht aussichtslos. Die fehlende Umsetzung dieser Ansätze lässt sich auf die Struktur der Weltwirtschaftsordnung zurückführen, nach der die zur Handlung berufenen Staaten von der weitgehenden Sanktionslosigkeit unternehmerischer Menschenrechtsverletzung profitieren. Die enorme öffentliche Aktivität zum Thema "Unternehmen und Menschenrechte" erscheint vor diesem Hintergrund vor allem als Ablenkungs- und Integrationsmanöver.
Bezogen auf den gegenwärtigen Forschungsstand liegt die Pointe des Projektes vor allem darin, die Beiträge zur gängigen Diskussion um die Menschenrechtsbindung von Unternehmen darauf zu verpflichten, einerseits die rechtstechnischen und andererseits die politischen Bedingungen der jeweiligen Vorschläge zu thematisieren. Es wäre darum eine viel versprechende Fortsetzung des Projektes, die geradezu unzähligen Stimmen für eine völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte einmal akribisch eben daraufhin zu untersuchen, welche rechtlichen und politischen Durchsetzungsperspektiven ihnen unterliegen. Denn es liegt der Verdacht nahe, dass es sich dabei generell um einen blinden Fleck handelt, der geradezu die Bedingung für die erstaunliche Proliferation der Beiträge darstellt.
Zu den wichtigsten Publikationen des Unterprojekts zählen:
Massoud, Sofia (2018): Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten von transnationalen Unternehmen, Berlin: Springer.
Massoud, Sofia (2013): „Unternehmen und Menschenrechte“ – überzeugende progressive Ansätze mit begrenzter Reichweite im Kontext der Weltwirtschaftsordnung, in: Ralph Nikol /Thomas Bernhard/Nina Schniederjahn (Hg.), Transnationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen im Völkerrecht, 37-68.
Massoud, Sofia (2013): „Die Guiding Principles on Business and Human Rights – eine absehbar begrenzte UN-Agenda“, in: Kritische Justiz 46(1), 7-17.
Massoud, Sofia/Rödl, Florian (2011): „Waiting for the “Follow-Up”? – Guiding Principles for the Implementation of the United Nations ‘Protect, Respect and Remedy’ Framework“, Global Labour Column (http://www.global-labour-university.org/fileadmin/GLU_Column/papers/no_63_Roedl_Massoud.pdf).
Das Projekt von Alexander Wagner widmete sich dem Problem der Legitimation transnationaler Normordnungen im Kontext der „lex mercatoria“. Eine kritische Bewertung der Genese autonomer transnationaler Normordnungen erfolgte ausgehend von einer Rekonstruktion aufgeklärter demokratie- und (privat-) rechtstheoretischer Positionen sowie unter Bezugnahme auf die Internationale Politische Ökonomie. Dabei werden drei Legitimationsstrategien transnationaler Normordnungen in den Fokus der Kritik gerückt. Erstens wurde gezeigt, dass transnationale Normordnungen gerade nicht (und nicht einmal minimalsten) formal-demokratischen Ansprüchen an Rechtsentstehung genügen. Zweitens wurde die These entkräftet, dass transnationale Normordnungen keiner demokratischen Rechtfertigung bedürften, weil von ihnen ausschließlich die jeweiligen Vertragsparteien betroffen seien. Schließlich wurde der für die Legitimierung transnationaler Normordnungen zentrale Begriff der Privatautonomie kritisch rekonstruiert. Die durch diese Schritte entwickelte zentrale These lautet, dass die vorhandenen Ansätze zur Legitimation autonomen transnationalen Handelsrechts sowohl aus demokratietheoretischer als auch aus privatrechtstheoretischer Perspektive defizitär bleiben müssen.
Zum Rahmenprojekt: Insgesamt untersuchten die drei Unterprojekte jeweils Phänomene des transnationalen Rechts, die aus strukturellen Problemen der Fragmentierung des globalen Rechts in nationalstaatliche Rechtsordnungen resultieren. Eine grundsätzliche Antwort auf diese Probleme liefert die Idee einer Konstitutionalisierung jenseits des Staates. Mit dieser Alternative beschäftigte sich das Rahmenprojekt der Nachwuchsgruppe. Behandelt wurden darin unterschiedliche Formen der Konstitutionalisierung jenseits des Staates, und zwar auf globaler wie auch auf europäischer Ebene. Die konstitutionelle Verdichtung der EU gilt einigen Beobachtern als vielversprechende Blaupause einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts, welche sich durch einen belastbaren Grundrechtsschutz, eine demokratische Grundlage und schließlich durch echte Steuerungskapazität für globale Problemlagen auszeichnen soll. Im Kontrast zu dieser Idee von Konstitutionalisierung, die sich jedenfalls unausgesprochen doch immer an der Form des Verfassungsstaates orientiert, wurde programmatisch die Vorstellung einer kollisionsrechtlichen Verfassung entfaltet, die eine „demokratische Verrechtlichung ohne Verstaatlichung“ erlauben würde. Wesentliche Probleme einer an der verfassungsstaatlichen Form orientierten Konstitutionalisierung jenseits des Staates wurden anhand der Verfassung der Europäischen Union untersucht. Der Schwerpunkt der Analysen lag auf den Potentialen einer demokratischen und sozialen Verfassung der Union, mit einem Fokus auf den kollektiven Arbeitsbeziehungen als Rückgrat sozialstaatlicher Verfassung.
Für die Europäische Union ist am Ende zu konstatieren, dass die sozialstaatliche Verfassung der einzelnen Mitgliedstaaten offenbar derart komplex und kompakt ist, dass sich eine Reproduktion sozialstaatlicher Verfassung auf europäischer Ebene auf lange Sicht ausschließen lässt. Diese Struktur spiegelt sich im so genannten Demokratiedefizit der Union. Damit tritt die Frage nach einer Orientierung von Konstitutionalisierungsprozessen auf den Plan, die sich nicht mehr an der verfassungsstaatlichen Blaupause orientieren würde, ohne aber zugleich die Idee einer demokratischen Verrechtlichung fallen zu lassen. In diesem Sinne ist die Theorie supranationaler Verfassungsrecht, in der die Idee eines universalen Kollisionsrechts eine wesentliche Rolle zu spielen hat, weiterhin ein Desiderat post-nationaler Verfassungstheorie.
Zu den wichtigsten Publikationen des Rahmenprojekts zählen:
Rödl, Florian (2015): Gerechtigkeit unter freien Gleichen. Eine normative Rekonstruktion von Delikt, Eigentum und Vertrag, Baden-Baden: Nomos.
Rödl, Florian (2011): „Demokratische Verrechtlichung statt Verstaatlichung: Kollisionsrecht statt Globalstaat“, in: Oliver Eberl (Hg.), Transnationalisierung der Volkssouveränität. Radikale Demokratie jenseits und diesseits des Staates, 271-294.
Rödl, Florian (2013): „Zum Begriff demokratischer und sozialer Union“, in: Jürgen Bast/Florian Rödl (Hg.), Wohlfahrtsstaatlichkeit und soziale Demokratie in der Europäischen Union, Europarecht-Beiheft 1/2013, 179-204.
Rödl, Florian (2014): „Die dialektische Entwicklung des Sozialen im Prozess der europäischen Integration: Die Dimension der kollektiven Arbeitsbeziehungen“, in: U. Becker/St. Leibfried/P. Masuch/W. Spellbrink (Hg.), Sozialrecht und Sozialpolitik: Grundlagen und Herausforderungen des deutschen Sozialstaats. 60 Jahre Bundessozialgericht, Berlin: Erich Schmidt Verlag.