Das Grundproblem des internationalen Systems geistigen Eigentums besteht seit jeher darin, dass die Rechte der Erfinder, Urheber usw. territorial beschränkt sind. Es gibt kein Weltpatent oder Welturheberrecht, sondern allenfalls ein Bündel von nationalen Ein¬zelrechten. Kommunikation und Wirtschaft hingegen machen nicht an Staatsgrenzen halt. Diese Diskrepanz zwischen nationalstaatlicher Regulierung und transnationalem Austausch erschwert die praktische Durchsetzung der Rechte durch die Rechtsinhaber.

Im Projekt wurden aus juristischer Perspektive die Legalität und Legitimität verschiedener Formen von Kooperationen untersucht, mit denen private und öffentliche Akteure versuchen, die Nachteile des regulatorischen Flickenteppichs zu mildern oder gar zu überwinden. Es können drei Kooperationsformen unterschieden werden:
Rein private Kooperationen von Rechtsinhabern in Form von Vertrags-netzwerken sollen die transnationale Nutzung von Wissen in Anbetracht einer Vielzahl von Rechten ermöglichen (Patentpools, Verwertungsgesellschaften, Open Source, Wikipedia).

Kooperationen der Judikative und der Exekutive: Da die Legislative als Kooperationsakteur weithin ausfällt, ist eine Tendenz anderer Hoheitsträger zu verstärkter Kooperation zu beobachten. So berücksichtigen die Gerichte einschlägige ausländische Entscheidungen (etwa zur Schutzwürdigkeit einer bestimmten Erfindung) und harmonisieren dadurch die Rechtspraxis auch ohne völker- oder europarechtliche Grundlage; eine direkte Kooperation verschiedener Gerichte bei der Bewältigung multinationaler Parallelprozesse wird in manchen Bereichen (Insolvenz- und Familienrecht) bereits praktiziert und für das geistige Eigentum diskutiert. Auch Patentämter kooperieren und tauschen Informationen aus, um die Flut von Patentanmeldungen überhaupt bearbeiten und sog. Fast-Track-Erteilungsverfahren anbieten zu können.

Kooperationen zwischen Hoheitsträgern und privaten Akteuren: Schließlich sind vermehrt Ko-operationen zwischen staatlichen Instanzen und privaten Beteiligten festzustellen. So vermittelte die EU-Kommission Vereinbarungen zwischen Verlagen, Bibliotheken und Verwertungsgesellschaften über die Digitalisierung und Zugänglichmachung von vergriffenen Werken sowie zwischen Internetplattformen wie eBay und Rechtsinhabern zu den Grundsätzen der Verfolgung von Urheber- und Markenrechtsverletzungen. Die Europäische Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie soll Regulierungslücken dadurch schließen, dass Rechtsinhabern die Möglichkeit zum Informationsaustausch geboten wird und Best-Practice-Anleitungen zur Rechtsdurchsetzung erarbeitet werden.

Mehrere von Alexander Peukert betreute und allesamt abgeschlossene Dissertationen beschäftigen sich mit derartigen Kooperationsphänomenen. Die 2015 mit dem Baker & McKenzie-Preis des Fachbereichs Rechtswissenschaft ausgezeichnete Arbeit von Anja Becker untersucht, wie parallele IP-Rechtsstreitigkeiten vor Gerichten verschiedener Länder koordiniert werden und ob hierbei auch eine aktive Kooperation zwischen Gerichten legal und legitim sein kann. Dominik König testet die Leistungsfähigkeit des klassischen Vertragsrechts bei der Konstruktion rechtlich stabiler, heterarchischer Open-Source-Vertragsnetze. Michael A. Kümmel zeigt in seiner Arbeit, wie große Content-Plattformen im Internet (YouTube, Facebook) mit Urheber- und Markenverletzungen umgehen und hierbei faktisch weltweit einheitliche Standards implementieren, obwohl die anwendbaren Rechte divergieren. Die auf einer 2013-2016 auf einer Projektstelle beschäftigte Nora Luisa Hesse erläutert und kritisiert in ihrer 2017 abgegebenen Dissertation Formen der weitgehenden Zusammenarbeit von Zollbehörden und privaten Rechtsinhabern bei der Grenzbeschlagnahme sogenannter Pirateriewaren an EU-Außengrenzen.

Die in diesen Forschungen erlangten Erkenntnisse flossen in einen 2017 in der Rabels Zeitschrift veröffentlichten, grundlegenden Aufsatz von Alexander Peukert zu Strukturen, Akteuren und Zwecken der Vereinheitlichung des Immaterialgüterrechts ein. In diesem Beitrag erörtert Peukert nicht nur klassische völkerrechtliche Verträge als formale Kooperationen zwischen Staaten, sondern auch Phänomene der Rechtsvereinheitlichung ohne staatliche Kodifikation, insbesondere in Gestalt privater Regulierung durch Verträge (z.B. Open Source) und Technik (z.B. Regulierung von Internetplattformen) und einer administrativen Kooperation von Patentämtern.

In der Gesamtschau bieten die vorgelegten rechtswissenschaftlichen Forschungsergebnisse wertvolles Anschauungsmaterial für die Herausbildung eines transnationalen Wirtschaftsrechts im Schatten des staatlichen Rechts.

Die wichtigsten Publikationen in diesem Projekt:

Peukert, Alexander: „Vereinheitlichung des Immaterialgüterrechts: Strukturen, Akteure, Zwecke“, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 81(1), 2017, S. 158–193.

Hesse, Nora Luisa: Das EU-Grenzbeschlagnahmeverfahren in Deutschland und seine Vereinbarkeit mit dem TRIPS-Abkommen, Dissertation, Frankfurt am Main (Erstgutachten erstattet am 21. März 2017).

Kümmel, Michael Andreas: Die Implementierung der Haftung von Host-Providern für Immaterialgüterrechtsverletzungen, Dissertation, Frankfurt am Main, 2016.

Becker, Anja Andrea: Verfahrenskoordination bei transnationalen Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten, Berlin: Duncker & Hublot, 2016.

König, Dominik: Das einfache, unentgeltliche Nutzungsrecht für jedermann, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht unipress, 2016.

Personen in diesem Projekt:

Projektleitung / Ansprechpartner

Peukert, Alexander, Univ.-Prof. Dr.

Projektmitarbeiter

Hesse, Nora Louisa, Dr. iur.


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