Restitutionen geraubten Kulturguts sind in Europa in größerem Ausmaß zwar bereits nach den Napoleonischen Kriegen erfolgt, doch sollte es noch fast ein Jahrhundert dauern, bis durch die Haager Landkriegsordnung von 1907 die Beschlagnahme von Kunstgegenständen im Kriegsfall international geächtet wurde. Völker- und privatrechtlich durchgesetzt hat sich die Auffassung von der Rechtswidrigkeit solcher Handlungen und der Notwendigkeit der Restitution geraubten Kulturguts aber eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Das durch die Haager Konvention von 1954 erweiterte Normengefüge zum Schutz kulturellen Erbes wurde mit dem Beginn der Dekolonisierung auch auf entsprechende Vorgänge in den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, Asien und Ozeanien übertragen. Postkoloniale Staaten machten seither Forderungen geltend, die sich nicht nur auf die Zurückerstattung der in der Kolonialzeit geraubten und außer Landes gebrachten materiellen Kulturgüter bezogen, sondern auf alle in europäischen Sammlungen aufbewahrten Objekte von kulturhistorischer Bedeutung. Die Restitutionsforderungen waren dabei in aller Regel mit einer Revalidierung der entsprechenden Objekte verbunden. Sie wurden nun (ähnlich wie schon ein gutes Jahrhundert zuvor in den einzelnen europäischen Nationalstaaten) zu Symbolträgern ethnischer und nationaler Identität.
Ziel des Projekts ist es, der Frage nachzugehen, wie ethnologische und archäologische Museen im deutschsprachigen Raum auf Repatriierungsforderungen außereuropäischer Staaten reagierten, welche Objekte sie tatsächlich zurückführten, mit welchen Begründungen sie Restitutionen verweigerten und welchen Bedeutungswandel die Artefakte im Zuge ihres Transfers bzw. der um sie geführten Debatte erleben.
Anhand des Restitutionsdiskurses und der Rückgabepraxis lassen sich konkrete normative politische und kulturelle Konflikte zwischen westlichen und post-kolonialen Gesellschaften aufzeigen. In der völkerrechtlichen Kodifizierung der Restitutionsansprüche lässt sich die Herausbildung eines transnationalen normativen Regelwerks gewissermaßen in statu nascendi beobachten. Ein weiterer Konflikt normativer Ordnungen entsteht in der Rückgabepraxis, in der die Legitimität der Restitution und die Sorge um die Konservierung des kulturellen Erbes und der Artefakte abgewogen werden.
Nach einer Literaturerhebung wurden 18 Gespräche mit leitenden MuseumsmitarbeiterInnen und Beamten geführt. Ein 50-seitiger Ergebnisbericht dokumentiert die Auswertung. Die zentralen Forschungsfragen des Projekts haben in die universitäre Lehre, in Veranstaltungen des Frobenius-Instituts, in akademische Abschlussarbeiten und zwei Dissertationsprojekten Eingang gefunden. Prof. Justin Richland (Chicago) wurde eingeladen, um im Rahmen der Jensen Memorial Lectures über die Restitutionspolitik in den USA zu berichten.
Obwohl die Legitimität von Restitutionsansprüchen von Kulturobjekten von den entsprechenden Entscheidungsträgern allgemein anerkannt wird, kam es in Deutschland bisher nur zu einer geringen Zahl an Rückführungen (mit der Ausnahme menschlicher Überreste). Es herrscht Zweifel, ob die Forderungen ausschließlich von Personen erhoben werden, die als legitime Vertreter ihrer jeweiligen Gruppe auftreten, insbesondere, da Artefakte kurz nach ihrer Rückgabe wieder auf dem internationalen Kunstmarkt aufgetaucht seien. Wichtiger als die erfolgten Restitutionen selbst sind durch die Forderungen ausgelösten öffentlichen Diskussionen, wird durch sie doch Öffentlichkeit auf das den indigenen Völkern zugefügte Unrecht aufmerksam gemacht.
Die wichtigsten Publikationen in diesem Projekt:
Kohl, Karl-Heinz: „Der ‚Ureinwohner’ kehrt zurück. Mit Hilfe europäischer Klischees über ‚Eingeborene’ haben sich Indigene gesonderte Rechte erstritten”, in: Welt-Sichten. Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit, 3/2017, S. 12–18.
Fründt, Sarah: „Return logistics – repatriation business. Managing the return of ancestral remains to New Zealand", in: L.V. Prott, B. Hauser-Schäublin (Hg.): Cultural Property and Contested Ownership: The Trafficking of Artefacts and the Quest for Restitution, Oxford: Oxbow Books, 2016.
Kohl, Karl-Heinz: „Malanggan: Abbild und doppelter Tod”, in: V. Lepper/P. Deuflhard/C. Markschies (Hg.): Räume – Bilder – Kulturen (Forschungsberichte der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 36), Berlin/Boston: Walter De Gruyter, 2015, S. 169–188.
*Kohl, Karl-Heinz: „The Future of Anthropology Lies in its Past”, in: Social Research. An international Quarterly 81 (3), 2014, S. 555–570.
Kohl, Karl-Heinz: „Muss die Ethnologie sich schämen? In Berlin werden Forderungen laut, bei der Gestaltung des Humboldtforums solle auf Artefakte aus indigenen Kulturen verzichtet werden“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. September 2014, S. N3.
Personen in diesem Projekt:
Projektleitung / Ansprechpartner
Kohl, Karl-Heinz, Prof. Dr.
Projektmitarbeiter
Fründt, Sarah, M.A.
Vogel, Vanessa