Breiter Rückhalt

Frankfurter Studenten kämpfen im Netz gegen eine Veranstaltung zum Kopftuch und fordern die Absetzung der Ethnologin Susanne Schröter.

Von Heike Schmoll
BERLIN, 25. April

Eigentlich sollten Universitäten Orte der freien Rede und des freien Denkens sein, doch das scheint zunehmend schwierig zu sein. Jetzt gibt es eine Kampagne gegen die Direktorin des "Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam" (FFGI) an der Goethe-Universität Frankfurt Susanne Schröter. Sie hat eine Konferenz über "Das islamische Kopftuch" am 8. Mai an der Universität Frankfurt vorbereitet. Das Exzellenzcluster "Normative Ordnungen" der Universität gehört zu den Mitveranstaltern, der hessische Minister für Soziales und Integration, Kai Klose (Grüne), hat die Schirmherrschaft für die Konferenz übernommen. Die Rednerliste bei der Konferenz reicht von Alice Schwarzer, der Gründerin der Frauenzeitschrift "Emma" über die Soziologin Necla Kelek als Vorstandsfrau von "Terre des Femmes" und Betreiberin einer liberalen Moschee in Berlin bis hin zu der Autorin und Journalistin Khola Maryam Hübsch, die das Kopftuchtragen zur Pflicht für Musliminnen erklärt hat. Dina El Omari von der Universität Münster wird eine theologische Annäherung über das Kopftuch im Islam vortragen und vertritt eine gemäßigte Position, weil sie das Kopftuchtragen der freien Entscheidung der einzelnen Frau überlassen will. Ausgewogener könnte die Rednerliste kaum sein - sogar ein Mann ist dabei, der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi von der Pädagogischen Hochschule in Freiburg.
Schröter selbst äußert im Gespräch mit dieser Zeitung ihr Unverständnis darüber, dass die Studenten, die sich auf Facebook zu Wort melden, nicht das Gespräch mit ihr suchten und stattdessen eine Rufmordkampagne inszenierten. "Der Vorwurf des antimuslimischen Rassismus wird zum Totschlagargument gegen jegliche Kritik am Islam, die dadurch unmöglich gemacht werden soll", sagt sie. Der freie Austausch von Argumenten müsse doch noch möglich sein. "Wenn Meinungsfreiheit nicht mehr möglich ist, dann ist das das Ende der freien demokratischen Gesellschaft", gibt sie zu bedenken.
Unter dem Hashtag "#Schroeter_raus" halten bei Instagram junge Frauen Zettel vor ihr Gesicht oder zeigen Schilder wie "Kein Platz für Rassismus", "weil ich kein Bock mehr auf Schröters antirassistische Hetze habe". Kontaktadressen oder ein Impressum gibt es nicht. Vielmehr vereinnahmen die Kommentarschreiber bei Instagram die anderen Studenten für sich. Sie behaupten, in deren Namen zu sprechen. "Gerade heute mit der steigenden Salonfähigkeit von Rechtspopulismus, werden in Deutschland Menschen, die das Kopftuch tragen, Opfer von rechter Gewalt und Rassismus", heißt es. Für solche Veranstaltungen sei an "unserer Uni, wo wir für Offenheit und Akzeptanz stehen, kein Platz". Die Professorin müsse, so wird gefordert, ihrer Position enthoben und die Konferenz abgesagt werden. Offenbar gab es Versuche der Fachschaft Islamische Theologie, die Fachschaft Ethnologie für die Kampagne zu gewinnen, was aber misslang.
Die Präsidentin der Universität, Birgitta Wolff, sagte dieser Zeitung: "Das Präsidium ist keine ,Diskurspolizei', vielmehr sieht es seine Aufgabe darin, für die Wissenschaftsfreiheit einzutreten, das heißt sicherzustellen, dass in der Goethe-Universität unterschiedliche wissenschaftliche Positionen eingenommen und nach den Spielregeln des akademischen Diskurses vertreten werden können. Auch Versuche mancher Kreise, sich selbst zur ,Diskurspolizei' zu ernennen, weisen wir mit größtem Nachdruck zurück." Instagram stehe jeder Gruppe zur freien Meinungsäußerung zur Verfügung. Hierzu könne auch pointierte inhaltliche Kritik gehören. "Äußerungen wie ,Schröter_raus' stehen außerhalb jeglichen sowohl wissenschaftlichen als auch demokratischen Diskurses. Sie sind daher inakzeptabel. Solche Äußerungen haben nichts mit den Qualitätsansprüchen eines akademischen Diskurses zu tun und sind allen, die sich als Mitglieder unserer Universität bezeichnen, unwürdig. Ich kann nur dazu aufrufen, verunglimpfende, beleidigende und hetzerische Kommentare weiterhin bei Instagram und gegebenenfalls anderen derartigen Plattformen zu melden", so die Präsidentin. "Eine Hochschule ist ein Ort des wissenschaftlichen Diskurses. Ein solcher Diskurs findet auf der Grundlage der Freiheit der Wissenschaft statt. Forderungen nach einem Ausschluss von der Hochschule stehen dem entgegen", teilte das Hessische Ministerium für Soziales und Integration dieser Zeitung mit. Grundlagen der argumentativen Auseinandersetzung seien das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Wissenschaft, so das Ministerium.
Die Feminismusreferentin des Asta Fatma Keser distanzierte sich gegenüber dieser Zeitung ausdrücklich von den Hashtag-Aktivisten. "Die ganze Aktion erschreckt uns, da hier Islamkritik und Rassismus gleichgesetzt wird, zumal hier Personen wie Necla Kelek vorgeworfen wird, rassistisch zu argumentieren, wenn diese von ihren eigenen Erfahrungen berichten. Das Thema Kopftuch scheint uns als ein Vorwand. Es wird der Versuch unternommen, Forschung zu deutschen Islamverbänden und islamistischen Vereinigungen zu kompromittieren. Daher wäre das Eingehen auf die Forderung(-en) dieser Gruppe fatal. Es muss zum Islam geforscht werden, und das will diese Hetzkampagne verhindern", so der Asta. Die Studentenvertreter solidarisieren sich mit Schröter. Auf Facebook gibt es inzwischen Hunderte von Kommentaren, die Schröter unterstützen. So heißt es: "Und das an der Uni, die einst die Wirkungsstätte von Adorno und Horkheimer war ... Adorno würde sich ob dieser verblendeten Studenten im Grabe umdrehen." Ein anderer dagegen meint, "solange Islamhasserin Susanne weiterhin auf der Goethe-Uni unterrichten darf, sollte sich dieser Protest ebenso gegen die Universität selber richten, die so eine Hetze zulässt. Schließlich war das bei Höcke auch möglich! Ja, ich stelle Schröter und Höcke bewusst auf dieselbe Stufe!"

Von Heike Schmoll. Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Politik, Seite 4, vom 26. April 2019. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.


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