Panel I: Partikulares und universales Wissen und die Herausbildung normativer Gesellschaftsordnungen seit der Aufklärung
Der Begriff „Wissen“ ist derzeit einer der schillerndsten in der (wissenschafts-)politischen Diskussion. Er erhebt den Anspruch, kanonisierte Einsichten weitergeben zu können und dem Adressaten eine weitgehend gesicherte Erkenntnis zu vermitteln. Je mehr gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse mit Fakten, Objektivität und Beweisen gerechtfertigt werden, desto wichtiger ist es, den Blick auch für historische Phänomene der Wissensgenerierung und Aneignung zu öffnen. Dass sich die Herstellung von Wissen nicht auf lineare Weise, sondern in einem kollektiven, diskursiven – oftmals unvorhergesehenen – Prozess ereignet, gehört zu den grundlegenden Einsichten.
Anknüpfungspunkt des Panel ist die neue Qualität, die im 18. Jahrhundert das Sammeln, Erfassen und Systematisieren von Wissen erhielt. Dem damit verbundenen neuen Wissensbegriff kam nicht zuletzt bei der Konstituierung und Rechtfertigung sozio-politischer Ordnungen eine zentrale Rolle zu. Erkenntnisse sollten nun auf Vernunft statt auf Tradition und Autoritätsgläubigkeit gegründet sein. Der Prozess der Wissensgenerierung, begleitet von Diskussionen um die Wissensverwaltung, ging dabei nicht zuletzt von Sinneseindrücken und der eigenen empirische Beobachtung aus. Ordnende Verfahren machten das Wissen operationalisierbar. Die entstehenden Wissensmodelle traten mit dem Anspruch auf, Begründung universeller Prinzipien zur umfassenden Regulierung ganzer Gesellschaften zu sein. Leitlinien politischen Handelns mit universalem Anspruch entstanden damit aus spezifischer Beobachtung partikularer Kontexte, in die die Akteure eingebettet waren.
Die aufklärerisch-motivierte Expansion über die Grenzen Europas hinaus ging mit einer Diversifizierung, Pluralisierung und Verflechtung der beobachtbaren Lebenswelten einher, die in Wissensordnungen Kontur und Struktur gewinnen sollten. Das koloniale Experiment mündete in einem Wissenskorpus, der eine universale Einheitlichkeit suggerierte.
Die Dynamiken zwischen dem Universellen und Partikularen stellen ein zentrales Moment im Verständnis der Herausbildung und Transformation normativer Ordnungen dar. Zielsetzung des Panel ist es, sich anhand ausgewählter Fallbeispiele mit diesen Dynamiken näher zu beschäftigen. Wie werden universale und partikulare Vorstellungen und Konzepte in verschiedenen Wissensordnungen verhandelt? Wo werden Stabilität und Kohärenz hergestellt? Wo wird diese durchlässig und durchbrochen? Welche Akteure waren daran beteiligt? Um das Spannungsfeld von universalen Ansprüchen und partikularen Gegebenheiten näher zu beschreiben, beleuchten konkrete Fallbeispiele die Bedeutung des Ordnens von Wissen sowie Fragen zur Rolle der Medien bei der Erkenntnisproduktion und einer (versuchten) Normierung von Wahrnehmung.