Panel II: Im Spannungsfeld von Konservierung und Erneuerung: Fallbeispiele zur Entsäkularisierung und zur wirtschaftlichen Liberalisierung normativer Ordnungen
Im Zuge normativer Transformationsprozesse gesellschaftlicher, religiöser und wirtschaftlicher Ordnungen nehmen Akteure je nach Interessenlage unterschiedliche, teils divergierende Positionen ein, die sich üblicherweise im Spannungsfeld zwischen der Konservierung bestehender Ordnungen und dem Bestreben nach Erneuerung bewegen.
Das erste Fallbeispiel aus dem Bereich der politischen Ethnologie befasst sich mit Bestrebungen der islamischen Partei von Malaysia (PAS), bestehende staatliche und gesellschaftliche Ordnungen in Malaysia grundlegend zu verändern. Eine entscheidende Motivation im Bereich emischer Perspektiven spielt dabei die weit verbreitete Vorstellung, dass die Abwesenheit Gottes im politischen und sozialen Leben des Landes und seiner Bürger als Hauptursache nahezu aller gesellschaftlicher Probleme zu betrachten sei. Dabei ist weniger das von Rainer Forst und Klaus Günther in der Clusterkonzeption postulierte Argument von Bedeutung, wonach die Hauptantriebskraft in der Herausforderung und Veränderung normativer Ordnungen in Wahrnehmungen und Behauptungen von Ungerechtigkeit bestünde, sondern vielmehr das Streben nach religio-politischer Vervollständigung einer als unvollkommenen wahrgenommenen Welt, ausgehend von einer individuell und kollektiv imaginierten göttlichen Erwartungen an die Menschheit.
Das zweite Fallbeispiel aus der Geschichtswissenschaft beschäftigt sich mit dem Prozess der Liberalisierung und Privatisierung der wirtschaftlichen Beziehungen, Boden- und Eigentumsverhältnisse auf dem Lande im Herzogtum Nassau des 19. Jahrhunderts und hierbei insbesondere mit den Reformen und Veränderungen der gemeinschaftlichen Weide- und Waldnutzungsrechte. Die bei diesem wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozess entstandenen Konflikte um Wald- und Weidgerechtigkeiten erwuchsen aus dem Gegensatz, dass einige Akteure sich den neuen liberalen Normen zuwandten und diese nutzten, indem sie nun auf das alleinige Nutzungsrecht an ihrem Privateigentum bestanden und die von der Nutzung ausgeschlossene, meist kleinbäuerliche Bevölkerung wiederum auf den althergebrachten Normen beharrte. Der Verlust dieser ehemals traditionellen Gerechtigkeiten wirkte sich oftmals fatal auf die wirtschaftliche Existenz der Ausgeschlossenen aus.
Anhand dieser unterschiedlichen Fallbeispiele aus zwei geisteswissenschaftlichen Disziplinen soll die Vielfalt der Konflikte, welche im Zuge normativer Transformationsprozesse entstehen können, hinsichtlich möglicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede exemplarisch vorgestellt werden.