Panel IV: Menschenrechte zwischen universaler Geltung und historischer Partikularität
Menschenrechte werden zumeist als nicht-geschichtliche Phänomene begriffen, die ihrem Geltungsanspruch nach universell und kulturunspezifisch seien. Ihre Verwirklichung hingegen könne nur als historischer Prozess, gewissermaßen als kollektive geschichtliche, transkulturelle und internationale Aufgabe verstanden werden. Die Pluralisierung der an diesem globalen Projekt beteiligten Akteure könne – so die Hoffnung vieler – über den eurozentrischen Prägungshintergrund des Menschenrechtskonzeptes hinweghelfen, um dem Hegemonievorwurf gegenüber dem Westen zu entkommen.
Nichtsdestotrotz bleiben die Fragen ungeklärt, ob die zu beobachtende „historisch-kulturelle [...] Vielfalt partikularer moralischer Vorstellungen in der Welt“ in einen uferlosen Relativismus zerfasert oder ob diese „Vielfalt moralischer Vorstellungen ein Anzeichen für die Verbreitung moralischen Irrtums“ [1] ist, den es zu korrigieren gilt.
Im Rahmen dieses Panels soll versucht werden, aus den Fachperspektiven der Philosophie (Kirstin Bunge, 1.), der Geschichtswissenschaft (Therese Schwager, 2.), der Ethnologie und der Politikwissenschaften (Michael Lidauer, 3.) Schlaglichter auf dieses stark bearbeitete Feld zu werfen.
1. Am Beispiel Francisco de Vitorias soll eine frühneuzeitliche Rechtstheorie vorgestellt werden, die auf dem normativen Konzept einer Gemeinschaft aller Menschen und ihrem Gemeinbesitz an der Erde gründet. Im Rahmen dieses Vortrages soll den Fragen nachgegangen werden, ob der universale Geltungsanspruch der (Völker-) Rechtstheorie Vitorias konzeptuell bereits daraufhin angelegt ist, partikulare, historisch gewachsene Unterschiede zwischen politischen Gemeinwesen zu nivellieren, oder ob sich im Rahmen dieses Rechtskonzepts ein alternativer Weg andeutet.
2. Die Schule von Salamanca, als deren Begründer Francisco de Vitoria gilt, sah sich mit einem universalen weltumspannenden Herrschaftssystem konfrontiert. Die spanisch-habsburgische Monarchie stieß gleichermaßen an ihren Rändern und im Innern an die Grenzen ihres Herrschaftsanspruchs. Das Verhältnis von nationalen Monarchien und Kirche wurde in Frage gestellt. Die Rechte des Einzelnen innerhalb und außerhalb dieser Gemeinschaften waren gleichfalls bedroht. Die Theoretiker der katholischen spanischen Spätscholastik betrachteten diese Fragen nicht unabhängig voneinander und bündelten die europaweit über die konfessionelle Spaltung hinweg in den regionalen Ständedebatten auftretenden vergleichbaren Rechtfertigungsnarrative. Dass die Religion nicht gewaltsam aufgezwungen werden darf, war im 16./17. Jahrhundert Konfliktpunkt und ein einschlägiges Argument innerhalb aller europäischen politischen Gemeinschaften, aber auch gegenüber den Kolonialvölkern. Das in konkurrierende theologiepolitische Ordnungsvorstellungen eingebundene Gewissensargument in den regionalen hessen-kasselschen Ständedebatten (ca. 1604-ca.1610) soll in dem Vortrag im Hinblick die theoretisch-normative Schärfung von überlieferten „Bausteinen“ widerstandsrechtlicher Argumentation und die Entstehung eines neuen Rechtfertigungsnarrativs beleuchtet werden.
3. Die europäische Menschenrechtspolitik der Gegenwart, der sich die ethnologische und politikwissenschaftliche Perspektive nähert, scheint zumindest vordergründig auf frühneuzeitliche Konstellationen zu verweisen: Die universalen Normen der Menschenrechte gelten nicht nur als handlungsleitend innerhalb Europas, sondern dienen der Europäischen Union auch als Maßstab in internationalen Beziehungen. Als eines der sichtbarsten Instrumente in Partnerländern mit häufig gewalthafter Geschichte und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen dient das Instrument der Wahlbeobachtung in Demokratisierungsprozessen wenn nicht als Regulativ, so doch als unterstützende Maßnahme zur Einhaltung internationaler Standards, die aber, nicht unumstritten, mit Bezug auf Konfliktgeschichte und politische Bedingungen bewertet werden.
[1] Aus dem Ankündigungstext des im Erscheinen begriffenen Buches von Gerhard Ernst/ Stephan Sellmaier (Hg.), Universelle Menschenrechte und partikulare Moral. Stuttgart: Kohlhammer, 2010