Kein „Alarmismus“ und „transnationale Lösungen“. Beim Auftakt der Bürgeruni-Reihe zum Thema 1968 ging es auch um Maßnahmen gegen einen möglichen Backlash
Von Bernd Frye
Zur Frankfurter Bürgeruniversität gehört in diesem Jahr die vierteilige Reihe „50 Jahre in Bewegung: 1968 und die Folgen“. Sie startete am 25. Mai mit der Frage „Demokratie für alle: Ist der 68er-Aufbruch in Gefahr?“. Die Reihe, die noch bis ins Wintersemester fortgeführt wird, ist eine Kooperation der Goethe-Universität mit dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Die Auftaktveranstaltung fand im Foyer des Präsidiums-Gebäudes statt. Mit dabei von Seiten des Clusters waren Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungen, in deren Händen die Moderation lag, und der Co-Sprecher des Forschungsverbundes Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Philosophie. Von der FAZ kam Jürgen Kaube, der für das Feuilleton zuständige Herausgeber. Komplettiert wurde das Podium durch Jutta Ditfurth, Soziologin, Autorin und Frankfurter Stadtverordnete, sowie den Rechts- und Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke, Redakteur der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.
Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion war die Frage, ob der, zumindest auch, von der 68er-Bewegung ausgelöste politische und gesellschaftliche Fortschritt einem Backlash ausgesetzt sei. Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien und auch autoritärer Regime, die ihrer Verfassung nach pluralistische Demokratien sind, gelten manchen Beobachtern als Zeichen dafür.
Solche Gegenbewegungen habe es in den letzten Jahrzehnten immer wieder gegeben, so Rainer Forst – in den USA auch schon vor Donald Trump und in Deutschland vor allem mit Franz Josef Strauß. Die Geschehnisse in Polen, Ungarn und der Türkei hätten allerdings eine besondere Qualität. Hier sei „die Krise der normativen Ordnungen“ in vollem Gange. Zumindest auf die Bundesrepublik bezogen sieht Jürgen Kaube aktuell keinen Grund zum „Alarmismus“. Der Rechtsstaat funktioniere sehr gut, und auch vor Alexander Dobrindt brauche man „nicht zu erschrecken“. Der CSU-Politiker hatte vor Kurzem eine „bürgerlich-konservative Wende“ gefordert.
Für Albrecht von Lucke ist der „autoritäre Backlash mit Händen zu greifen“, auch in Deutschland. Die hohen Wahlergebnisse der AfD seien schon besorgniserregend, richtig gefährlich werde es, und das deute sich an, wenn AfD-Positionen immer mehr von etablierten Parteien, namentlich der CDU/CSU, aufgenommen würden. Jutta Ditfurth, einst Gründungsmitglied der Grünen und dann wegen inhaltlicher Differenzen aus der Partei ausgetreten, lenkte den Blick auf linke und kapitalismuskritische Positionen. Es gebe viele junge, hoffnungsvolle Aktivisten, nicht nur randalierende G20-Protestanten. Die Neue Rechte bezeichnete sie als das personifizierte „Ende der Aufklärung“.
Was die Deutung der Zeit um 1968 angeht, verwies Jutta Ditfurth auf den erklärten Anspruch vieler Protagonisten. Diesen sei es damals weniger um eine irgendwie geartete Liberalisierung der Gesellschaft gegangen, sondern gleich um die Abschaffung des gesamten kapitalistischen Systems. Jürgen Kaube teilte diese Analyse und sah die Folgenlosigkeit der politischen 68er-Maximalansprüche auch darin begründet, dass es in Deutschland „keine Basis für eine Revolution“ gegeben habe. „Viele der damaligen Wortführer hielten die Zeit der Revolution tatsächlich für gekommen“, so Rainer Forst. Auch damit hätten sie im Gegensatz zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule um Adorno und Habermas gestanden.
Die aktuell viel diskutierte und bücherfüllende Frage, was 68 denn wirklich „gebracht“ habe, stand von der Themenstellung her nicht im Mittelpunkt des Bürgeruni-Auftaktabends. Rainer Forst gab zu Bedenken, dass zu unterscheiden sei, zwischen dem, was 68 war, und dem, was daraus geworden ist. Albrecht von Lucke erinnerte daran, dass Jürgen Habermas von einer „Fundamentalliberalisierung“ der deutschen Gesellschaft im Gefolge der Studentenrevolte gesprochen habe. Jürgen Kaube vertrat die Ansicht, dass viele der gesellschaftlichen Fortschritte ihre Wurzeln schon in der Zeit vor 1968 gehabt hätten.
Abgesehen von der Frage, wie groß das aktuelle Backlash-Risiko tatsächlich ist, war sich die Runde einig, dass man autoritären und antiliberalen Tendenzen unbedingt entgegenwirken müsse. Jutta Ditfurth sprach sich dafür aus, Anhänger rechter und rechtspopulistischer Bewegungen kommunikativ auszugrenzen. Dagegen wandte sich dann Nicole Deitelhoff. In einer Demokratie, so die Politikwissenschaftlerin, die auch das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) leitet, müsse man sich aktiv mit allen Meinungen auseinandersetzen.
Jürgen Kaube empfahl vor allem „Pragmatismus“. Es gelte darüber nachzudenken, warum so viele Menschen nicht zur Wahl gingen. Auch eine Stärkung des Stolzes auf den Rechtsstaat könne die Demokratie festigen. Rainer Forst schließlich warnte davor, dass die etablierten Parteien mit den rechten Parteien in einen Wettstreit um „das nationale Schneckenhaus“ treten. Angesichts extremer sozialer Ungleichheiten müssten besonders die linken Parteien nach „transnationalen Lösungen“ suchen. Denn der Kapitalismus ließe sich nicht im Alleingang und innerhalb eines Landes zähmen.
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