Frankfurter interdisziplinäre Live-Debatte: Studieren, Forschen, Lehren trotz Corona-Pandemie
Von Kristina Balaneskovic
Während der Corona-Pandemie wurde das öffentliche Leben massiv eingeschränkt. Vor allem der Bildungssektor war durch Schließungen von Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten betroffen. Die Verlagerung des Studierens, Forschens und Lehrens in den digitalen Raum und die hierbei aufgetretenen Schwierigkeiten haben gezeigt, dass es bei digitalen Infrastrukturen noch Ausbaubedarf gibt. Dies machte sich die „Frankfurter interdisziplinäre Live-Debatte: Studieren, Forschen, Lehren trotz Corona-Pandemie“ zum Schwerpunkt, an der Jan Pieter Krahnen (Leibnitz-Institut für Finanzforschung SAFE), Nicole Deitelhoff (HSFK und Forschungsverbund „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität), Stefanie Dimmeler (Cardio Pulmonary Institute, CPI der Goethe-Universität) und Klaus Günther (Forschungsverbund „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität) teilnahmen. Moderiert wurde die Debatte von Doris Renck, Journalistin des Hessischen Rundfunks.
Das Format der Frankfurter interdisziplinären Debatte wurde konzipiert, um Vertreter*innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen in Dialog zu bringen. Es verfolgt das Ziel, ein umfassendes Lagebild einer ins Zentrum gestellten Problematik zu entwickeln. Dadurch soll die Wissenschaft einen wichtigen Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten. Die „Frankfurter interdisziplinäre Debatte“ ist eine gemeinsame Initiative des Forschungsverbunds „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität, des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), des Leibniz-Instituts für Finanzforschung (SAFE) und des Cardio Pulmonary Institute der Goethe-Universität.
Jan Pieter Krahnen, Direktor des SAFE-Instituts, startete mit einer vergleichenden Betrachtung: Während sich das Wirtschaftssystem den Krisen beispielsweise durch Weiterentwicklung angepasst habe und einem V-förmigen Verlauf folge, habe das Bildungssystem auch nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie keine Resilienz entwickelt. Vielmehr zeige es sich gegen jeglichen Wandel resistent. Man müsse sich die Frage stellen, was die Ursachen dieses Widerstandes sind: Ist es das System oder sind es die Lehrenden, die sich gegen Veränderungen stellen? Krahnen erklärte außerdem den Umgang mit digitalen Medien zur Schlüsselkompetenz in der heutigen Zeit und formulierte die Sorge, dass eine gesamte Generation von Schülerinnen und Schülern auf diesem Gebiet zurückgeworfen werde. Er sprach sich abschließend für ein agiles und wandlungsfähiges Bildungssystem aus, das den Herausforderungen der Corona-Pandemie gerecht werden könnte. Die Hauptkomponente seien hierbei die Lehrenden, die zu Lernenden des digitalen Umgangs werden sollten.
Moderatorin Doris Renck fasste zusammen: Die Schockstarre, in die das Bildungssystem am Anfang der Pandemie verfallen sei, hält zum Nachteil der Schülerinnen und Schüler an. Und wie erleben Lehrende die Krise? Klaus Günther gab einen Einblick: Die Weiterbildung von Lehrkräften sei eine andauernde finanzielle Herausforderung für Schulen und Universitäten. Da die Finanzierung des Bildungssystems jedoch in den Händen der Bundesländer liege, sei es falsch, ausschließlich die Lehrenden für die Versäumnisse im Digitalisierungsprozess verantwortlich zu machen. Die Bundesländer hätten für die entsprechende Infrastruktur Sorge zu tragen. Günther kritisierte, dass solche Prozesse abseits von Wahlkämpfen schleppend verliefen und die entsprechenden Akteur*innen desinteressiert scheinen.
Auch Stefanie Dimmeler stellte zunächst fest, dass die Schuld nicht bei den Lehrenden liege, um daraufhin auf ihre negativen Erfahrungen mit digitaler Lehre zu sprechen zu kommen. Demnach fehle in monotonen Zoom-Konferenzen die Interaktion mit den Studierenden und es sei schwierig, bestimmte Themen digital zu unterrichten. Sogar YouTube-Videos seien häufig besser aufbereitet als die digitale Hochschullehre. Lehre sei demnach mehr als nur die Wissensvermittlung, nämlich eine Kompetenzweitergabe.
Diese Sicht teilte Nicole Deitelhoff, die der digitalen Lehre nicht den Vorzug gegenüber der Präsenzlehre geben wollte. Digitale Lehre sei nicht für jede Altersgruppe geeignet. Grundschulkinder seien demnach von den Widrigkeiten digitaler Angebote besonders betroffen, da sich diese negativ auf ihre Sozialisation auswirke. Bildung müaaw als soziale Praxis begriffen werden: Mit der Wissensvermittlung gehe auch eine Kompetenzvermittlung einher. Wenn diese Komponente allerdings wegfalle, leide das Lernerlebnis. Würde sich nun weiterhin auf digitales Lernen begrenzt, stelle sich die Frage, ob diese Form der Digitalisierung die Ungleichheiten nicht vertiefe, die ohnehin seit Jahrzehnten beklagt würden. Digitalisierung im positiven Sinn bedeute Herstellung gleicher Chancen, die beim Equipment der Schülerinnen und Schüler im Sinne von digitalen Endgeräten und schnellem Internet beginne. Nach wie vor verfügten Schülerinnen und Schüler allerdings nicht über die gleichen Voraussetzungen. Es würden Familienmitglieder gebraucht, die den Kindern bei offenen Fragen zur Seite stehen. Diese könnten aber in vielen Fällen aufgrund von fehlenden Kompetenzen nicht helfen, sodass die Kinder auf sich allein gestellt seien. Abschließend wies Deitelhoff kritisch darauf hin, dass digitale Angebote Kindern, Jugendlichen und Studierenden ein hohes Maß an Flexibilität in ihrem Alltagsmanagement abverlangen.
Es kann also festgehalten werden, dass die digitale Lehre zwar positive Seiten hat, etwa, dass im Vergleich zu früher Informationen viel schneller gesammelt und zusammengefasst werden können. Allerdings fehlt dem digitalen Unterricht ein wesentlicher Aspekt: die Betreuung der Lernenden. Vom Kennenlernen von Peers bis hin zu praxisorientierten Lerneinheiten, wie sie Stefanie Dimmeler aus der Medizin und den Naturwissenschaften beschrieb, bietet die digitale Alternative nicht die gleiche Tiefe wie die Präsenzlehre.
Die Podiumsteilnehmer*innen waren sich einig, dass es in Bezug auf Innovation, Gleichberechtigung und das Bildungsangebot der digitalen Didaktik großen Nachholbedarf gäbe. Die Frage der Finanzierung von digitalen Lernplattformen sah Klaus Günther nicht endgültig beantwortet. Obwohl es staatliche Initiativen zur Entwicklung einheitlicher Plattformen gebe, würden diese im Vergleich zu privaten Anbietern nur schleppend vorankommen. Aus rechtlicher Perspektive müsse letztlich die Frage gestellt werden, ob Datenschutz oder die Einführung neuer Techniken und Lernmethoden Vorrang haben soll.
Da die Corona-Pandemie auch in Zukunft ein anhaltendes Thema bleiben werde, fasst Doris Renck die Diskussion zusammen, müsse überlegt werden, wie mit dieser Situation umgegangen werden soll. Es käme vor allem auf Innovationen an, um besser auf Krisen vorbereitet zu sein. Die Redner*innen hielten fest, dass die Präsenzlehre nicht durch digitale Veranstaltungen ersetzt werden solle und sogenannte Hybridveranstaltungen, in denen ein Teil der Zuhörer*innen vor Ort ist und ein anderer Teil per Videoübertragung teilnimmt, keine Lösung des Problems seien. Um den Herausforderungen dennoch ein Stück weit zu begegnen, forderten sie eine erweiterte Methodenausbildung der Lehrenden, die in jeden Lehrkörper gehöre. Denn die Veränderungen der Arbeitswelt bringen auch in der Lehre und Forschung Umbrüche mit sich.