Wohin mit dem Protest?
Ein Rückblick: Im 5. Stadtgespräch wurde über direkte Demokratie diskutiert
Maya Hatsukano, Michael Schedelik
Am 5. Mai fand im Frankfurter Kunstverein das Stadtgespräch „Wohin mit dem Protest? Von der Zukunft unserer Demokratie" statt. Die Gesprächspartner waren Dr. Erhard Eppler, Bundesminister a.D. und Prof. Peter Niesen, der in Darmstadt eine Professur für Politische Theorie innehat. Auch das 5. Stadtgespräch fand regen Zulauf und die Zuschauerinnen und Zuschauer diskutierten nach der Podiumsrunde kontrovers. Peter Siller, Scientific Manager des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen", moderierte und führte in bewährter Art durch den Abend.
Die Gesprächspartner waren sich einig, dass Bürgerbeteiligung grundsätzlich wünschenswert sei. „Sie hat eine ungemein entgiftende Wirkung", so Eppler, „denn wenn die Bürger in die Entscheidung einbezogen werden und sich nicht übergangen fühlen, werden sie sich auch mit einer Niederlage abfinden." Falls dies jedoch nicht der Fall sei, könne es zu einem Gefühl der Ohnmacht führen, welches ein enormes Risiko für unsere Demokratie berge.
Zur Debatte kamen aber auch problematische Seiten direkter Demokratie. Von Peter Siller wurde in die Diskussion gebracht, dass die Gefahr von direkter Demokratie darin bestehen könnte, dass sie zu einer Über-Repräsentation privilegierter sozialer Milieus führe. So geschehen bei dem Entscheid zur Hamburger Schulreform, bei dem die Beteiligung der oberen Mittelschicht überdurchschnittlich hoch war. Nach Erhard Eppler sei dies allerdings bis zu einem bestimmten Maß auch bei Wahlen der Fall, und es sei kein Geheimnis, dass Politiker daher bewusst ihre Wahlprogramme an diesen Gruppen ausrichten. Auch aus dem Publikum wurde daraufhin die „soziale Frage" der Demokratie gestellt, nach der die bereits marginalisierten Schichten der Teilhabe am politischen Prozess fern bleiben. Eine problematische Entwicklung, die allerdings nicht mit weniger, sondern nur mit mehr Demokratie zu beantworten sei, denn auch diese „wolle erst gelernt sein". Eppler verwies auf das Positivbeispiel von Bayern, wo es seit langem eine gelebte Bürgerbeteiligung gebe, und diese „die Alleinherrschaft der CSU damit erträglich gemacht hat".
Einen weiteren Punkt, den Siller ins Spiel brachte, betraf die Gefahr, Bürgerbeteiligung könne zur bloßen Negation werden. So brachte es Siller auf die Pointe: „Jeder will Windräder, aber nicht in seinem Garten!" Hierzu betonte Niesen, dass man direkte Demokratie, ähnlich wie Wahlen, nicht an ihrem „out-put" beurteilen dürfe, da „das Volk gesprochen hat, und diese Entscheidung bindend ist.". Die entscheidende Frage allerdings, die dabei aufgeworfen werde, sei diejenige nach dem richtigen „demos"; also wann man als von einer Politik betroffen gelten könne, sodass man in ein Bürgerbeteiligungsverfahren eingeschlossen werden sollte. Dabei stellte er die provokante Frage, ob im Falle Stuttgart 21, einer europäischen Schnellstrecke, nicht ein europäisches Beteiligungsverfahren angestrengt werden müsse. Eppler verwarf dies vehement und stellte klar, dass im Fall Stuttgart „natürlich in Stuttgart abgestimmt wird!". Für ihn ist es problematisch, dass der Volksentscheid in spe für S21 auf Landesebene stattfinden solle, da hier die Quoren viel zu hoch seien. Da sich der Erfolg eines Entscheides auch an der Beteiligung messe, sei der infrage kommende „demos" in der Kommune zu suchen. Dem widersprach Niesen, der es nicht richtig findet, dass insbesondere in Bezug auf erneuerbare Energien, gesamtgesellschaftliche Entwicklungen von partikular Betroffenen verhindert würden. Eine differenziertere Betrachtung der Frage der Beteiligung sei demnach angebracht.
Auch aus dem Publikum kamen an diesem Abend zahlreiche Beiträge in die Debatte. Der Leiter eines Ingenieurbüros hob den Aspekt der Planungsverfahren hervor. Er gestand: „Letztlich sind immer alle unzufrieden. Die Bürger, die Politiker und die Ingenieure sowieso." Im Vergleich zu Deutschland würden bspw. in der Schweiz die Planungen für Großprojekte bereits im Vorhinein anders durchgeführt, da den dortigen Beteiligten bewusst sei, „dass das durch einen Volksentscheid muss".
Es wurde außerdem die Frage gestellt, ob entgegen der derzeitigen Wahrnehmung, keinesfalls von einer Konjunktur demokratischer Beteiligung in Deutschland zu sprechen sei, sondern diese vielmehr auf eine kleine Gruppe Aktiver beschränkt bleibe. Die eigentlich viel drängendere Thematik sei demnach die wachsende Politikverdrossenheit.
Eppler bekräftigte den Einwand und sah den Bedarf an „mehr Demokratie" und die Politikverdrossenheit als zwei Seiten derselben Medaille. Er forderte daher einen gesamtgesellschaftlichen Prozess, der mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger bietet, damit sie sich wieder als citoyens begreifen. Zum Abschluss verwies Eppler auf die langjährige Erfolgsgeschichte der bundesrepublikanischen Demokratie: „Wer 1946 zu mir gesagt hätte, in 60 Jahren gibt es ein starkes, souveränes, prosperierendes und vor allem demokratisches Deutschland, den hätte ich für bekloppt gehalten."