Forschung aktuell
Keine Angst vor dem Volk
Bericht zu John P. McCormicks Vortrag „Rethinkig Democratic Athens and Republican Rome in an Age of Plutocracy and Populism“
Von Marian Nestroy
Überall wird über die Krise der Demokratie diskutiert. Während die einen Demagogen als das Problem ausmachen, sieht John P. McCormick das Problem im Anschwellen des Machtvolumens von ökonomischen und politischen Eliten. In seinem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Demokratie in der Krise? Bruch, Regression und Resilienz“ des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ macht er im Anschluss an antike demokratische Praktiken einen institutionstheoretischen Vorschlag dieses Defizit auszugleichen.
Wohl kaum ein Begriff der Gegenwart ist so heiß umstritten, wie der der Demokratie. Dabei gebrauchen wir alle ihn permanent und meinen dabei immer etwas Gutes: Wenn beispielsweise eine politische Lösung für ein Problem gefunden werden soll, erscheint eine „demokratische“ Lösung als die Beste. Was damit gemeint ist, ist wohl so etwas wie eine Entscheidung, die alle Betroffenen fair berücksichtigt. Wenn jedoch die Demokratie nicht als Lösung präsentiert werden kann, sondern selber problematisch erscheint, dann zeigt sich etwas anderes: nämlich, welche Vorstellungen von Demokratie wirklich im Raum stehen. Diese Diskussion wird sowohl national als auch international mittlerweile seit mehreren Jahren geführt. Auch der Forschungsverbund Normative Ordnungen hat sich in einigen seiner öffentlichen Formate hiermit beschäftigt.
Veranstaltungsbericht zum Crisis Talk “Gipfelnächte in Europa: Die Krise als Entscheidungsmodus“
Von Dr. Stefan Kroll
Europäische Politik präsentiert sich den Bürgerinnen und Bürgern nicht selten als Krisenpolitik. Am Ende langer Sitzungsnächte, in denen über Entscheidungen gerungen wurde, treten die Verantwortlichen vor die Presse und verkünden eine lang erwartete Einigung. Mark Weinmeister (Hessischer Europastaatssekretär), der die Gäste dieses 13. Crisis Talks in der Vertretung des Landes Hessen in Brüssel begrüßte, bezog sich auf diese wiederkehrende Choreographie und stellte die Frage in den Raum, ob dieses nächtliche Ringen ein nicht nur engagierter, sondern eben auch nachhaltiger Politikmodus sei. Der Moderator Ralph Sina (WDR/NDR) knüpfte hieran an, als er einräumte, dass es sich dabei nicht nur, aber eben auch um ein Medienphänomen handele. Ein Problem solcher Krisengipfel sei eben auch, dass diese die Kräfte der Presse so binden würden, dass über die Berichte der Gipfel die Darstellung der normalen politischen Prozesse in Brüssel häufig zu kurz kämen.
Dies war der Rahmen, in dem in der Folge die Experten Prof. Dr. Oliver Ibert (Direktor des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung), Prof. Dr. Mark Rhinard (Stockholm University) und Dr. Carsten Pillath (Generaldirektor, Rat der Europäischen Union) über die Gipfelnächte in Europa diskutierten. Carsten Pillath stellt dabei zunächst fest, dass die Gipfelnächte von den Beteiligten selbst meist nicht als eine Entscheidungsfindung im Krisenmodus empfunden würden. In Europa komme eben jede Regierung zu Wort, das koste Zeit und so werde es manchmal auch später in der Nacht, bis eine Übereinkunft gefunden werde. Dies sei jedem der Beteiligten klar und bedeute nicht zugleich, dass eine Einigung grundsätzlich in Gefahr sei. Pillaths weitere Ausführungen zu seinen persönlichen Erfahrungen aus solchen Entscheidungssituationen – etwa im Kontext der griechischen Finanzkrise – legten jedoch nahe, dass ganz so viel Understatement nicht immer vorzufinden ist und es eben doch Momente sein können, die die Forschung als krisenartig beschreibt.
Im Krebsgang durch die Vorlesungen am Collège de France
Von Johann Szews
Bericht zur Tagung "Philosophie, Kritik, Geschichte: Foucaults historisch-kritische Praxis in seinen Vorlesungen" am 30. und 31. Juli 2019 an der Johann-Goethe-Universität Frankfurt am Main
[1] Zwischen 1970 und 1984 hielt Michel Foucault 13 Vorlesungen am Collège de France, lediglich 1977 setzte er wegen eines Sabbatjahres aus. Diese Vorlesungen waren öffentlich zugänglich und mit bis zu 500 Zuhörer*innen überaus gut besucht. Foucault steckte intensive Arbeit in die Vorbereitung, etwa 6000 Druckseiten umfassen seine Manuskripte und Notizen aus diesen Jahren. Einer über die Zuhörerschaft hinausgehenden Öffentlichkeit wurden die Vorlesungen allerdings erst wesentlich später durch die Publikation von Manuskripten und Audioaufzeichnungen zugänglich. Sorgfältig editiert erschienen sie ab den späten 1990er-Jahren auf Französisch, jedoch nicht in chronologischer Reihenfolge: Als erstes wurde 1996 "Il faut défendre la société" (1975/76) veröffentlicht, die deutsche Übersetzung "In Verteidigung der Gesellschaft" folgte 2001. Die deutschsprachige Edition bei Suhrkamp schloss 2016 mit den Vorlesungen "Theorien und Institutionen der Strafe" (1971/72).
Der Frage, welche Bedeutung diesen Vorlesungen aus heutiger Sicht zukommt, widmete sich vom 30. bis 31. Juli 2019 die von MARTIN SAAR (Frankfurt am Main) und FRIEDER VOGELMANN (Frankfurt am Main) veranstaltete Tagung "Philosophie, Kritik, Geschichte: Foucaults historisch-kritische Praxis in seinen Vorlesungen" am Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen" an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Inwiefern unterscheiden sich die Vorlesungen vom publizierten Werk und wie ist die Darstellungsform von Foucaults Vorträgen zu verstehen, dessen Lehrstuhl den eigensinnigen Titel "Geschichte der Denksysteme" trug? Insgesamt stand die Tagung, in deren Verlauf sieben Vorlesungen diskutiert wurden, im Zeichen einer gesellschaftskritischen Foucault-Lektüre: Referent*innen und Publikum fragten immer wieder nach Möglichkeiten der Aktualisierung von Foucaults kritischer Perspektive.
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Veranstaltungsbericht zum Crisis Talk „30 Jahre Mauerfall: Die Bedeutung des Mauerfalls für die Entwicklung europäischer Gesellschaften“
Von Dr. Stefan Kroll
Der 30. Jahrestag des Mauerfalls ist nicht nur eine Gelegenheit zum Gedenken an die friedliche Revolution von 1989, sondern bietet auch einen Anlass, den langfristigen Prozess der Wiedervereinigung in den Blick zu nehmen. Die Bedeutung des Mauerfalls für den Frieden und die demokratische Freiheit in Europa ist nicht zu unterschätzen, wie Mark Weinmeister (Hessischer Staatssekretär für Europaangelegenheiten) in seiner Begrüßung in der Hessischen Landesvertretung festhielt. Zugleich bedeutet die Wiedervereinigung eine Herausforderung – politisch, ökonomisch und gesellschaftlich – deren Dimension erst rückblickend wirklich ermessen wird und die bis in die Gegenwart hinein immer wieder auch krisenhafte Züge trägt. Den einleitenden Worten von Staatssekretär Weinmeister schlossen sich Grußworte von Prof. Dr. Frank Bösch (Zentrum Zeithistorische Forschung, Potsdam) und Rebecca Caroline Schmidt, der Geschäftsführerin des Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen" an.
Der 12. Crisis Talk widmete sich den langfristigen Herausforderungen der Wende und diskutierte diese vor einem europäischen Horizont. Prof. Dr. Frank Bösch leistete in seinem Impulsreferat eine zeithistorische Einordnung, die die Vielschichtigkeit der Wiedervereinigung offenlegte und vor allem eine fehlende Anerkennung und Wertschätzung gegenüber den Lebensleistungen der Ostdeutschen als Problem erkannte. Prof. Dr. Ruth Leiserowitz (Humboldt-Universität und Deutsches Historisches Institut Warschau) ergänzte dies in der Diskussion nicht nur um eine Perspektive auf die Entwicklungen in Osteuropa und insbesondere in Polen. Darüber hinaus gewährte sie einen beeindruckenden Einblick auch in ihre eigene berufliche Biografie, die untrennbar mit der Geschichte der DDR und dem Mauerfall verknüpft ist. Der Crisis Talk, der gemeinsam durch die Vertretung des Landes Hessen bei der EU, dem Leibniz Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt, dem Europabüro der Leibniz Gemeinschaft und dem Exzellenzcluster „Normative Ordnung“ an der Goethe Universität veranstaltet wird, würdigte den historischen Erfolg des Mauerfalls und regte zugleich ein Nachdenken auch über den andauernden Prozess der Vereinigung an.
Weitere Informationen zum Crisis Talk: Hier...
Ein Plädoyer für die (Wieder)Eroberung der demokratischen Institutionen: Oliver Marchart über das institutionentheoretische Defizit radikaler Demokratietheorie
Von Juana de Oliveira Lorena
Am Abend des 24. April 2019 startete die Ringvorlesung „Demokratie in der Krise? Bruch, Regression und Resilienz“. Nach der Eröffnung durch Professorin Nicole Deitelhoff, Mitglied des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, führten die Koordinatoren PD. Dr. Thomas Biebricher und Prof. Dr. Martin Saar thematisch in die Reihe ein und stellten den Referenten der Auftaktveranstaltung, Prof. Oliver Marchart, vor.
Oliver Marchart ist Professor für Politische Theorie an der Universität Wien. Zu seinen aktuellen Buchpublikationen zählen: Thinking Antagonism. Political Ontology after Laclau (Edinburgh University Press 2018); Conflictual Aesthetics. Artistic Activism and the Public Sphere (Sternberg i.E.) und Der demokratische Horizont. Politik und Ethik radikaler Demokratie (Suhrkamp, i.E.). Marchart erweise sich als guter Auftaktredner, da er in seiner Forschungstätigkeit insbesondere der Erforschung alternativer Formen zur liberalen Demokratie widme, so Saar. Genauer gesagt, Marcharts Forschungsschwerpunkt liegt auf die Untersuchung der radikalen Demokratie, die auf der Hinterfragung von Schließungen und Letztbegründungen basiere, erläuterte der Frankfurter Professor. Das heißt, Demokratie sei als ein offenes Feld zu verstehen, dessen Grundlage sich nicht per se durch ihre (letztbegründete) Ontologie rechtfertigen lasse. Dieser komplexe philosophische Gedanke lasse sich nicht von den Überlegungen über seine Anwendbarkeit trennen. Deshalb, um die konkrete Fragen der institutionstheoretischen Ausarbeitung zu adressieren, sprach Oliver Marchart darüber „[w]as ist radikal an radikaler Demokratie? Vorschläge zur Behebung des institutionentheoretischen Defizits radikaler Demokratietheorie“.
Steckt der deutsche Konservatismus in der Krise? Thomas Biebricher über die ‚Geistig-moralischen Wende‘ und ihre Wirkung
Von Marian Nestroy
Im Jahr 1985 veröffentlichte die US-amerikanische Band The Ramones in Großbritannien die Single ‚Bonzo goes to Bitburg‘. Darin sang Joey Ramone: „Bonzo goes to Bitburg then goes out for a cup of tea. As I watched it on TV somehow it really bothered me“. Der Titel nahm Bezug auf den Film ‚Bedtime for Bonzo‘ aus dem Jahr 1951, in dem der Affe Bonzo Teil eines psychologischen Experiments ist. Der Bonzo in Bitburg jedoch war kein Affe, sondern US-Präsident Ronald Reagan, der in seiner ersten Karriere im besagten Film die Hauptrolle spielte. Joey Ramone, mit bürgerlichem Namen Jeffry Ross Hyman, machte damit als jüdischer US-Amerikaner seinem Ärger über den Besuch des Kriegsgräberfriedhofs in Bitburg Luft.
Was war geschehen? Anfang Mai 1985 besuchte Reagan gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Helmut Kohl den besagten Friedhof, wo neben Wehrmachtssoldaten auch Angehörige der Waffen-SS lagen. Dass ein US-Präsident Tote der SS besucht, rief auf Seiten der Amerikaner schon bei der Planung zuvor Missmut hervor. Daher wurde von deutscher Seite noch ein anderer Termin vereinbart: der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Was die amerikanische Delegation offenbar soweit zufrieden stimmte, dürfte Joey Ramone weitere Bauchschmerzen bereitet haben. Stellte doch diese Aneinanderreihung der Besuche eine Analogie von Opfern her: auf der einen Seite die Toten der Konzentrationslager, auf der anderen Seite die eines vermeintlich normalen Krieges. Die Verbrechen der Wehrmacht und der SS verschwanden so hinter der geschichtspolitischen Äquivalenz.
„Citizenship for Sale“. Leibniz-Preisträgerin Ayelet Shachar spricht über die Kommerzialisierung von Staatsbürgerschaft
Von Steffen Andrae
Themen wie Migration, Grenzpolitik und Staatsbürgerschaft sind spätestens seit der sogenannten europäischen Flüchtlingskrise fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses. Mit den neuen Völkerwanderungen und Fluchtbewegungen verschieben sich auch die Konturen von Staatsbürgerschaft und ihre rechtliche wie kulturelle Einbettung: Wie käuflich ist die Zugehörigkeit zu einem Staat? Wie religiös „neutral“ sollen und können liberale Gesellschaften sein? Und was sind die Bedingungen dafür, dass sich soziale Gruppen nicht von den Institutionen eines Staates ausgeschlossen und entsprechend entfremdet sehen?
Diese und ähnliche Fragen wurden am 15. März 2019 auf der internationalen Konferenz „The Contours of Citizenship“ des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ in Kooperation mit dem Göttinger Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften diskutiert. Die Veranstaltung war Teil der jährlichen, mittlerweile zum dritten Mal stattfindenden „Goethe-Göttingen Critical Exchanges“. Prof. Dr. Ayelet Shachar, Direktorin am Göttinger Max-Planck-Institut und Principal Investigator des Exzellenzclusters, sprach im Rahmen der Konferenz zum Thema „The Marketization of Citizenship“. Ihre multidisziplinären Arbeiten zu Staatsbürgerschaft und rechtlichen Rahmenbedingungen in multikulturellen Gesellschaften haben sie zu einer der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet werden lassen, als die sie im Jahr 2019 den renommierten Leibniz-Preis erhielt. In ihrem Vortrag konzentrierte sich Shachar auf ein der Öffentlichkeit wenig bekanntes Phänomen: sogenannte „Fast Tracks for the Rich“, durch die Superreiche Staatsbürgerschaften auf legalem Weg käuflich erwerben können.
„Privatsphäre_ Wie sind wir geschützt im digitalen Zeitalter?“
Vortrag von Marina Weisband im Rahmen der Denkraum-Reihe
Von Johanna Schafgans
Datenlecks bei großen Firmen, Hacks von Computer-Nerds, die private Handynummern, Wohnadressen und andere sensible Daten von PolitikerInnen auf Twitter veröffentlichen – all dies scheint Alltag geworden zu sein. Auch jenseits krimineller Aktivitäten blüht die kommerzielle Verwertung von privaten Daten, weil Millionen NutzerInnen ungeschützt und freiwillig persönlichste Informationen in soziale Netzwerke stellen. Brauchen wir im digitalen Zeitalter ein neues Grundrecht auf Privatsphäre? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Veranstaltung am 2. April „Privatsphäre_ Wie sind wir geschützt im digitalen Zeitalter?“ mit Marina Weisband. Sie war bis zu ihrem Austritt 2015 das Gesicht der Piratenpartei. Seit Mai 2018 berät sie die Partei Bündnis 90/Die Grünen zu netzpolitischen Fragen. 2014 gründete sie eine Demokratie-Plattform für Schulen namens „Aula“, das von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Verein Politik Digital getragen wird und in dessen Rahmen SchülerInnen lernen können, sich demokratisch an Schulentscheidungen zu beteiligen.
In der Denkraum-Reihe des Schauspiel Frankfurts, in diesem Jahr unter Beteiligung des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, geht es – anlässlich seines 70-jährigen Bestehens – um das Grundgesetz. Marion Tiedtke, Chefdramaturgin und stellvertretende Intendantin des Schauspiels Frankfurt, leitete in das Thema ein. In den vorherigen Denkraum-Veranstaltungen wurde über das Grundgesetz in verschiedensten Wertbereichen diskutiert: Menschenwürde, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und Gemeinwohl. Diesmal geht es um die Privatsphäre – ein Thema, das gerade heute eine große Relevanz habe. „Wie sind wir geschützt im digitalen Zeitalter?“ – das sei die Frage, die sich viele Menschen heutzutage stellen.
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Von der Emanzipation und Evolution des Grundrechts auf Gleichberechtigung
Bericht zum Denkraum „Gleichberechtigung: Was kann das Recht zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen?“ vom 26. Februar 2019 mit Prof. Dr. Ute Sacksofsky
Von Katharina Limberger
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, so einfach und klar formuliert das Grundgesetz in Art. 3 den Grundsatz der Gleichberechtigung, mit dem Prof. Dr. Ute Sacksofsky, Principal Investigator am Exzellenzcluster Normative Ordnungen, am 26. Februar ihren Impulsvortrag für den Denkraum mit dem Titel „Gleichberechtigung_Was kann das Recht zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen?“ eröffnete.
So einfach und klar dieser Gleichberechtigungssatz auch formuliert ist, so sehr wird er von Anfang an von Streit begleitet. Prof. Sacksofsky erinnerte in diesem Zusammenhang zunächst daran, dass dies schon für die Frage seiner Aufnahme ins Grundgesetz galt, die nur aufgrund der enormen Protestwelle von Frauenverbänden gegen die zunächst ablehnende Haltung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates im Winter 1948/49 zustande kam.
Aber auch Bedeutung und Inhalt von Art. 3 Abs.2 GG waren und sind seit seinem Bestehen Gegenstand intensiver Diskussion, die immer wieder um die zwei grundlegenden Konzeptionen von formaler und materialer Gleichberechtigung kreist, auf welche Ute Sacksofsky im Folgenden näher einging.
Die Frage nach formaler Gleichberechtigung, so erläuterte Ute Sacksofsky, stand im Zentrum des eigentlichen Streits bei der Einführung von Art. 3 Abs.2 GG, der sich in erster Linie an der Gleichberechtigung im Familienrecht entspann. Zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes 1948/49 galt das seit seiner Einführung 1900 unveränderte patriarchalische Familienrecht des BGB, das dem Ehemann die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zuwies. Das Vermögen der Frau wurde durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Ehemannes unterworfen, der Ehemann konnte das Arbeitsverhältnis der Frau kündigen, wenn ihre Tätigkeit die ehelichen Interessen beeinträchtigte und entschied über alle, die Kinder betreffenden Angelegenheiten.
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