Forschung aktuell
Die geordnete Unordnung der Dinge. Zum Eröffnungspodium des 11. Lichter Filmfests
Von Steffen Andrae
„Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen“, schrieb Theodor W. Adorno in seinen 'Minima Moralia'. Generationen radikaler Künstlerinnen und Künstler folgten einer solchen Auffassung von Kunst als gesellschaftlichem Störenfried. Aber ließe sich dieses Diktum auch auf das Feld der Politik münzen? Oder besteht deren Aufgabe nicht umgekehrt darin, Ordnung in das Chaos zu bringen? Im politischen Kontext scheint das Chaos jedenfalls stärker umstritten zu sein als im künstlerischen: den einen ist es Bedrohung und Ärgernis, den anderen produktive und schöpferische Agenda im Gestaltungsprozess öffentlicher Belange. Über „Chaos als politisches Konzept“ diskutierten beim Eröffnungspodium des 11. Lichter Filmfests Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne und ehemaliges Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, Prof. Marion Tiedtke, Chefdramaturgin und stellvertretende Intendantin des Schauspiel Frankfurt, sowie Prof. Dr. Martin Saar, Professor für Sozialphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt und Principal Investigator des Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. Die FAZ-Redakteurin Corinna Budras moderierte das Gespräch, das am 4. April 2018 in der Naxoshalle stattfand.
Read more: Die geordnete Unordnung der Dinge. Zum Eröffnungspodium des 11. Lichter Filmfests
„The End is Not the End. Post-apocalyptic Imaginaries in Contemporary Movies“ - Vortrag und Gespräch während des Lichter Filmfest Frankfurt International
Von Catia Faranda
Unter dem Leitthema „Chaos“ des Lichter Filmfest Frankfurt International sprachen am 6. April 2018 der Kurator und Kulturwissenschaftler Jacob Lillemose, PhD und Dr. Peer Illner, Postdoktorand des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, unter dem Titel „The End is Not the End. Post-apocalyptic Imaginaries in Contemporary Movies“ über filmische Entwürfe postapokalyptischer Szenarien im Deutschen Filmmuseum.
Jacob Lillemose ist als Kurator im Filmhouse Kopenhagen tätig und untersucht dort die Darstellung von Katastrophen in den visuellen Medien. Daran anknüpfend warf er in seinem Eröffnungsvortrag einen Blick auf Filmbespiele, in denen chaotische und desaströse Zustände abgebildet werden. Diese unterzog er tieferen Untersuchungen und hinterfragte die Darstellung des Chaos als Konzept aus ästhetischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive.
Desaster-Filme erstrecken sich über die gesamte Zeitspanne der Filmgeschichte, sind jedoch besonders in Zeiten der Veränderung und Unsicherheit zahlreich erschienen. So wurde u.a. in den 1970er Jahren eine größere Anzahl von Desaster-Filmen produziert, die eine ebenfalls hohe Zahl an Kinobesuchern verbuchen konnten. Lillemose führte dieses wachsende Interesse in seinem Vortrag einerseits auf das Post-Vietnam-Trauma und die zunehmend bewusst werdende Umweltverschmutzung und Klimaveränderung zurück, wie sie beispielsweise in dem Film The Squirm (Jeff Lieberman, USA 1976) aufgearbeitet werden. Andererseits begründete er die Verbreitung der Filme durch das gleichzeitige Entstehen einer beschleunigten, neuen Konsumkultur in dieser Zeit, die sich stark auf die Gesellschaft und deren Rezeptionsverhalten auswirkte.
Die Ordnung des Netzes und das Netz der Ordnung. Matthias Kettemann und Marcus Döller über digitale, rechtliche und praktische Ordnung und Chaotik
Von Steffen Andrae
Dass es sich beim Chaos um einen Zustand der Unordnung und des Durcheinanders handelt, liegt im Begriff der Sache. Weniger tut dies hingegen die eindeutige Bestimmung des Verhältnisses von Chaos und seinem Gegenteil, Ordnung. Geht diese aus jenem hervor und beendet es gleichsam durch seine Formierung? Oder bricht das Chaos immer wieder in die Ordnung hinein, ist ständiger Verfolger, gar latente Gefahr? Oder aber muss die Beziehung zwischen Chaos und Ordnung vielleicht auf andere Weise konzipiert werden? Dr. Matthias Kettemann und Marcus Döller vom Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ sprachen im Rahmen des wissenschaftlichen Begleitprogramms des 11. Internationalen Lichter Filmfests Frankfurt International zur inneren Dynamik von Chaos und Ordnung.
Unter dem Titel „Tohuwabohu 2.0: Das Chaos im Netz als Produktivkraft und Gefahrenquelle“ erörterte Matthias Kettemann, Postdoktorand am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, grundlegende Fragen hinsichtlich der Ordnung des Internets. Bei dessen Entstehung habe das Chaos eine zentrale Rolle gespielt. In der Sorge vor atomaren Erstschlägen hätte die US-Regierung verschiedene Projekte mit dem Ziel einer Dezentralisierung von Informationsstrukturen gefördert, die letztendlich zur Entwicklung des Internets führten. Das Netz ging also aus einem apokalyptischen Denken hervor, das die Suche nach einer resilienten Architektur von Datenverwaltung befeuert hatte. Im Internet entwickelten sich früh informelle Ordnungsfunktionen, die ein Gegengewicht zur Abwesenheit völkerrechtlicher und internationaler Regeln in Bezug auf das Verhalten von Staaten oder Unternehmen im World Wide Web darstellte.
Einheit in der Differenz? Der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro über die Kategorie des Menschen
Von Steffen Andrae
Nach seinem Höhenflug in den 1980er und 90er Jahren wirkt der Begriff der Postmoderne mittlerweile etwas abgeschmackt. Und doch bringt er eine Problematik zum Ausdruck, die virulent bleibt: das sogenannte Ende der großen Erzählungen. Was hat es damit auf sich? Im Kreuzverhör der postmodernen Kritik stehen die hehren Vorstellungen der Moderne: Aufklärung, Vernunft, Autonomie, Fortschritt, Wissenschaft. Sie seien, so beispielsweise der postkoloniale Vorwurf, Teil eines bloß partikularen Welt- und Geschichtsverständnisses, das anderen Teilen der Welt vom Westen gewaltsam oktroyiert wurde. Dieses Argumentationsmuster trifft auf postmoderne Kritiken jeder Couleur zu, denn angeklagt werden die universalistischen Ideen der Moderne stets im Namen einer lädierten Partikularität. Die Klägerbank setzt sich aus unterdrückten Minderheiten und Völkern, diskriminierten Identitäten, deklassierten Spezies und einer ausgebeuteten Natur zusammen; der Tatvorwurf reicht von Kolonialismus und Eurozentrismus über kulturelle Diskriminierung bis hin zu Speziesismus und Naturzerstörung. Was sich in und durch die Postmoderne reflektiert, ist das Fragwürdig-Werden einer Weltanschauung, die selbst dazu angetreten war auf die Fragwürdigkeit der Welt zu antworten.
Podiumsdiskussion „Diskurskultur im Zwielicht – Wie viel Meinungsfreiheit verträgt die Uni?“
Von Juana de O. Lorena
Bereits vor Beginn der Abendveranstaltung am Freitag, dem 19. Januar 2018, waren sämtliche Sitze des Hörsaals 3 der Goethe-Universität belegt. Die zahlreichen Besucherinnen und Besucher waren gekommen, um die unterschiedlichen Positionen zum Thema „Meinungsfreiheit an der Universität“ anzuhören und darüber hinaus, über die Frage nach der [Existenz einer] Grenze dieser Freiheit zu debattieren.
Der konkrete Anlass für die Diskussion war die Ein- und Ausladung eines umstrittenen Referenten im Oktober 2017 zu einer Vortragsreihe im Rahmen des zum Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ gehörigen „Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam“. Nach Protesten eines Teils der akademischen Gemeinschaft und Verfassung eines offenen Briefs durch über 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen die Einladung, wurde der Vortrag des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, abgesagt. Dass Herr Wendt seinen Beitrag zum Thema „Polizeialltag in der Einwanderungsgesellschaft“ nicht an der Goethe-Universität vorgestellt hat, entfachte eine polarisierende Debatte, die auch ein großes Echo in den Medien fand. Dies wiederum warf die Leitfrage der Veranstaltung „Wie viel Meinungsfreiheit verträgt die Uni?“ auf.
Eröffnung der Lecture & Film-Reihe "Tropical Underground. Das brasilianische Cinema Marginal und die Revolution des Kinos" Vortrag von Vinzenz Hediger "Im Kino der Menschenfresser"
Von Juana de O. Lorena
Tupí or not tupí, that is the question.
(Oswald de Andrade im Anthropophagischen Manifest)
In Anklang an die bekannte Aussage des englischen Dichters William Shakespeare in Hamlet, so würde sich der Kern des Anthropophagischen Manifest zusammenfassen lassen. Das sich hier aufzeigende Dilemma greift auf die Konstruktion der brasilianischen Identität zurück: Sollen die Brasilianer der Moderne sich durch die Annäherung an die Ureinwohner des Landes, die Tupí, definieren, oder sollen sie sich an den Richtlinien der europäischen Kolonialisten durch das „Fressen" europäischer Kulturinhalte orientieren? Die Frage in dem hier berufenen Werk von Oswald de Andrade spielt nicht nur im Rahmen der brasilianischen Kultur der Moderne eine zentrale Rolle, sondern steht auch im Mittelpunkt der Reihe „Film and Lecture – Tropical Underground: Das brasilianische Cinema Marginal und die Revolution des Kinos".
Die Politik der Migration – eine Konferenz fragt nach den Grenzen der Zugehörigkeit
Von Jerzy Sobotta
Flucht und Migration sind zu Fragen mit gesellschaftlicher Sprengkraft geworden. Seit Einwanderer in großen Zahlen auch ins nördliche Europa kommen, ist Streit über den Umgang mit den Neuankömmlingen entbrannt. Die Reaktionen reichten von „Willkommenskultur“ bis zu gewalttätigen Angriffen auf Flüchtlinge und dem Erstarken rechter Parteien. Die Konferenz “The politics of migration – testing the boundaries of membership” hat am 15. Dezember 2017 an der Goethe-Universität Frankfurt die politischen und juristischen Konsequenzen der Migration in den Blick genommen. „Stabile liberale Demokratien in Europa sind erschüttert worden. So wird Einwanderung zu einem Wendepunkt in der Geschichte der Globalisierung”, sagte Rainer Forst, Sprecher des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ in der Begrüßungsrede. Er hat die Veranstaltung gemeinsam mit Prof. Ayelet Shachar vom Göttinger Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften organisiert. In zwei kommentierten Vorträgen und einem Panel haben die Teilnehmer die Fragen nach Grenzen, Territorialität und der Bedeutung von Migration für politische Gemeinschaften verhandelt.
Read more: Die Politik der Migration – eine Konferenz fragt nach den Grenzen der Zugehörigkeit
Sehnsucht nach Weisheit: (k)ein Fall für die akademische Philosophie?
Von Juana de O. Lorena
Anlässlich der Eröffnung des Rahmenprogramms der Biennale des bewegten Bildes (B3) begrüßte Bernd Frye, Pressereferent des Exzellenzclusters „Normative Ordnungen“, das Publikum und stellte seinen Gesprächspartner vor. Marcus Willaschek hat die Professur für Philosophie der Neuzeit an der Goethe-Universität Frankfurt inne und ist Principal Investigator des geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungsverbundes „Normative Ordnungen“ an derselben Universität. Seine Expertise liegt vor allem in der Erforschung der Philosophie Immanuel Kants, zu dessen Werk Willaschek 2015 das Kant-Lexikon mitherausgegeben hat.
Zur Einführung erläuterte Frye den Kontext der Veranstaltung: Das Leitthema der Biennale 2017 lautete „On Desire“ (aus dem Englischen „Über das Begehren“). Das Begehren, begleitet wie andere Gefühle unseren Alltag – einschließlich durch seinen Konflikt mit unserer Vernunft. In diesem Kontext erklärte Frye die Etymologie des Worts „Philosophie“, das Gegenstand des folgenden Gesprächs war. Philosophie wörtlich übersetzt heiße „Liebe zur Weisheit“; oder wenn man den niederländischen Begriff „Wijsbegeerte“ ins Auge fasse, die Bedeutungen „Begehren (nach)“ und „Wissen“ erhalte. Vor diesem Hintergrund präsentierte der Moderator nun den Titel der Veranstaltung, der als Leitfaden zum Gespräch diente: „Sehnsucht nach Weisheit: (k)ein Fall für die akademische Philosophie?“. Im Dialog mit Professor Marcus Willaschek wurde darunter vor allem über die Rolle der akademischen Philosophie bei der Lösung praktischer Alltagsfragen gesprochen.
Read more: Sehnsucht nach Weisheit: (k)ein Fall für die akademische Philosophie?
Gesetze des Begehrens im Internet „Begehren und begehrt werden braucht Grenzen. Nämlich Grenzen des Rechts“. Vortrag auf der B3 Biennale des bewegten Bildes 2017 "On Desire. Über das Begehren"
Von Johanna Schafgans
Mittlerweile gilt das Internet als Wunschmaschine der Gegenwart. Im Internet produzieren und konsumieren wir laufend Inhalte und Produkte. Wir begehren und werden begehrt.
Dabei stehen zwischen uns und den Produkten Vermittler (Plattformen und soziale Medien). Diese Intermediäre sind es, die die Gesetze und die Normen aufstellen. Doch welche Normen sind das, die das Begehren des Internets strukturieren?
Dieser Frage widmete sich Matthias C. Kettemann in seinem Vortag „Gesetze des Begehrens im Internet“ am 1. Dezember 2017 auf der B3 Biennale des Bewegten Bildes, die unter dem Leitthema „On Desire. Über das Begehren“ stand.
Matthias C. Kettemann ist Post-Doc Fellow am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ord-nungen“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er sich zu normativen Ordnungen des Internets habilitiert. Am Cluster gründete er den Forschungsschwerpunkt Internet und Gesellschaft.
Zu Beginn seines Vortrags erklärte Dr. Kettemann einige Begriffe, die für seinen Vortrag von beson-derer Relevanz seien: Erstens stellte er fest, dass er mit „Gesetz“ natürlich nicht nur staatliche Gesetze meine, sondern Normen und Regeln generell, die das Begehren im Internet strukturierten. Diese Normen und Regeln stellen einerseits Grenzen auf, aber geben andererseits den Menschen die Möglichkeit, sich im Internet zu verwirklichen. Zweitens verwies er darauf, dass er, wenn er von Begehren spreche, sowohl das Konsumieren als auch das Produzieren von Inhalten, um begehrt zu werden ins Auge fasse. Drittens definierte er Intermediäre als die Unternehmen, die zwischen NutzerInnen vermitteln und die Inhalte und Räume zur Verfügung stellen, in denen diese begehren und begehrt werden können.
More Articles...
- Veranstaltungsbericht zum Crisis Talk „Was Grundlagenforschung (noch) damit zu tun hat: Transnationale Forschungsförderung zur Bewältigung gesellschaftlicher Krisen in Europa“
- Wissenschaft mit Pepp – Greta Wagner über Pillen und Pulver an der Universität
- Von Schleiermacher bis zum Kapitalozän. Der Exzellenzcluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen« schaut bei seiner Internationalen Jahreskonferenz multiperspektivisch auf die Krise
- “The only alternative to authoritarian liberalism is democratic socialism.” Hauke Brunkhorst on “Normative Orders in Crisis”