Vom Kleinen zum Großen. Leibniz-Preisträgerin verbindet Mikro- und Makroökonomie
zos. FRANKFURT. So wie es unter den Kardinälen jene gibt, die als "papabile" gelten, so lässt sich unter den Wissenschaftlern einer großen Hochschule meist eine Handvoll benennen, die für höchste Ehren in Frage kommen. An der Goethe-Universität gehörte Nicola Fuchs-Schündeln schon seit längerer Zeit zu diesem Kreis. Als die Ökonomin 2009 mit ihrem Mann Matthias von Harvard an den Main wechselte, waren die Erwartungen groß. Auch wurde die Doppelberufung als gute Lösung gepriesen, um einen Ortswechsel für Forscherpaare attraktiv zu machen, wenn einer oder beide Partner für die Uni interessant sind.
Fuchs-Schündeln hat die in sie gesetzten Hoffnungen nicht enttäuscht. Sie erhielt für ihre Arbeiten 2010 einen hochdotierten "Starting Grant" der Europäischen Union und im vergangenen Jahr den Gossen-Preis des Vereins für Socialpolitik, der als wichtigste deutsche Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaftler gilt. Auch als Kandidatin für den Sachverständigenrat, das Gremium der "Fünf Wirtschaftsweisen", war sie schon im Gespräch.
Demnächst darf sie unter dem Punkt "Major Awards" in ihrem Lebenslauf auch noch den bedeutendsten deutschen Forschungspreis überhaupt aufführen: Zusammen mit zehn Kollegen aus anderen Fachgebieten kann sie am 19. März in Berlin den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft entgegennehmen. Er ist mit 2,5 Millionen Euro dotiert, die von den Preisträgern innerhalb von sieben Jahren für wissenschaftliche Zwecke ausgegeben werden dürfen.
Fuchs-Schündeln, 1972 geboren, hat an den Universitäten Köln und Yale studiert. Einen Namen machte sie sich, indem sie mikroökonomische Ansätze und Methoden in die Makroökonomie einführte. Auf dieser Basis entstanden einflussreiche empirische Arbeiten, wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft schreibt. So wandte die Professorin den aus der Mikroökonomie stammenden Begriff des "natürlichen Experiments" auf größere Zusammenhänge an, indem sie die Folgen der deutschen Wiedervereinigung untersuchte.
Die Forscherin interessierte sich dabei für die Frage, wie stark sich die Werthaltungen von Ost- und Westdeutschen voneinander unterscheiden. Sie konnte zeigen, dass Bürger der früheren DDR noch immer höhere Erwartungen an den Staat haben als Einwohner der alten Bundesrepublik: Die Fürsorge für Kranke, Alte und Familien wenigstens zum Teil marktwirtschaftlich zu regeln ist ein Gedanke, der im Osten weiterhin auf größere Ablehnung stößt.
Auch mit dem Sparverhalten und den Arbeitszeiten in unterschiedlich entwickelten Weltregionen hat sich Fuchs-Schündeln beschäftigt. Sie zeigte, dass in armen Ländern die Wochenarbeitszeit durchschnittlich etwa zehn Stunden länger ist als in den wirtschaftlich starken Staaten. Daraus folgt, dass der Unterschied in der Produktivität noch viel größer ist, als ein Blick auf das Bruttosozialprodukt je Arbeiter nahelegt, wie die Wissenschaftlerin vor einiger Zeit erläuterte.
Fuchs-Schündeln, Mutter dreier Kinder, ist Nummer 17 auf der Liste der Leibniz-Preisträger, die an der Goethe-Universität tätig waren oder sind. Der Philosoph Jürgen Habermas sowie der Biochemiker und Nobelpreisträger Hartmut Michel gehören ebenso zum Kreis dieser Würdenträger wie jüngere Wissenschaftler, etwa Ivan Dikic, Roman Inderst, Stefanie Dimmeler und Rainer Forst. Wie Letzterer ist Fuchs-Schündeln "Principal Investigator" im Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen", der bisher von Bund und Ländern mit Millionensummen gefördert wurde. Mit einem Fortsetzungs-Antrag hat sich der Forschungsverbund aus Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern in der Neuauflage des Wettbewerbs nicht durchsetzen können.
Forst hat beteuert, dass er sich deswegen nicht mit Abwanderungs-Gedanken trage. Man darf gespannt sein, ob auch seiner Kollegin die Goethe-Uni so sehr ans Herz gewachsen ist, dass sie ihr trotz des Versiegens jener wichtigen Förderquelle treu bleibt. An eigenen Mitteln für ihre Projekte wird es Fuchs-Schündeln dank des Leibniz-Preises nicht fehlen. An Angeboten von anderen Hochschulen aber vermutlich auch nicht.
"Vom Kleinen zum Großen" von Sascha Zoske, aus der F.A.Z. (Rhein-Main-Zeitung) vom 15.12.2017, Wirtschaft , Seite 37. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.