Aushalten oder ausladen. An der Goethe-Uni wird kontrovers über eine Ausladung von Rainer Wendt diskutiert
Es geht hoch her, es wird gestritten, gebuht und gejohlt. Drei Monate, nachdem ein Vortrag des Polizeigewerkschafters Rainer Wendt an der Goethe-Universität kurzfristig abgesagt wurde, wird an diesem Freitagabend im Hörsaalzentrum über den Fall diskutiert. Im Saal drängen sich wesentlich mehr Zuhörer, als es Stühle gibt
Joachim Braun, Chefredakteur der "Frankfurter Neuen Presse", sagt in einer Eingangsrede, die Uni habe durch die Ausladung von Wendt "ihrem Ansehen als Ort freier Rede und freier Lehre geschadet". Man könne Wendt zwar sehr kritisch sehen, aber eine Universität müsse "alle Meinungen ertragen".
Befragt vom Fernsehjournalisten Meinhard Schmidt-Degenhard, der den Abend mit teil etwas zu striktem Zeitregiment moderiert, spricht dann die Ethnologin Susanne Schröter, die Wendt ein- und wieder ausgeladen hatte. Sie nehme beide Entscheidungen auf ihre Kappe, sagt Schröter. Sie sei mit der vielen Kritik an der Einladung überfordert gewesen. Aus Angst vor Tumulten habe sie Wendt schweren Herzens ausgeladen. Sie persönlich sehe ihn als Law-and-Order-Mann, aber nicht als Rassisten. "Ich finde nach wie vor, dass jemand wie Herr Wendt seine Positionen hier diskutieren kann."
Der Jurist Maximilian Pichl, der als einer von 60 Wissenschaftlern mit einem Offenen Brief gegen Wendts Vortrag protestiert hatte, widerspricht. Die Uni sei kein neutraler Ort, sagt er unter Berufung auf Max Horkheimer, sie sei einer besseren Gesellschaft verpflichtet. "Wir sind der Meinung, dass es dem Leitbild der Uni widerspricht, hier einen Akteur wie Rainer Wendt sprechen zu lassen." Er verstehe auch bis heute nicht, warum ein Offener Brief als Aufruf zur Zensur dargestellt werde, sagt Pichl. Es sei normaler Teil demokratischen Streits, öffentliche Kritik an einer Einladung zu üben
Der Humangeograph Bernd Belina argumentiert, Wendt polarisiere sehr stark, "er redet im Freund-Feind-Schema". Zu einem reflektierten, wissenschaftlichen Diskurs passe der Polizeigewerkschafter daher überhaupt nicht. "Das ist nicht die Art, wie wir hier diskutieren." Um die Meinungsfreiheit von Wendt, der ständig in Talkshows zu Gast sei, sei es außerdem gut bestellt, findet Belina. "Das müssen wir hier nicht auch noch nachspielen."
Auch ihm stünden bei Wendts Aussagen oft "die Haare zu Berge", sagt der Philosoph Rainer Forst. Aber da es an der Uni zum Glück niemanden gebe, der zentral über alle Vortrags-Einladungen entscheide, kämen eben auch Leute, "die man selbst lieber nicht eingeladen sähe". Im so einem Fall müsse man sie in der Diskussion entlarven, denn mit einer Ausladung produziere man nur unnötig Märtyrer.
"Ich verstehe die Uni als Diskursraum, nicht als Schutzraum", sagt schließlich Birgitta Wolff, die Präsidentin der Goethe-Uni. Den Abend mit Wendt hätte man Uni aushalten müssen, findet sie. Zugleich wäre sie froh, bei Gästen, "bei denen man antizipieren kann, dass sie einen bestimmten Grad an Umstrittenheit haben", vorab informiert zu werden. Vielleicht gibt es dazu bald Gelegenheit: Auf Nachfrage schließt Susanne Schröter nicht aus, Rainer Wendt demnächst noch einmal einzuladen.
Hanning Voigts, Frankfurter Rundschau, 20.01.2018, Seite F5. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt.