Den Palandt umbenennen? Vergessliche Reiniger
Alexandra Kemmerer hat vor einer Woche an dieser Stelle aus Anlass einer Publikation im Organ des Hochschulverbands daran erinnert, dass Otto Palandt (1877 bis 1953), Namensgeber des am meisten verbreiteten Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch, seit 1933 Mitglied der NSDAP und von 1935 bis 1943 Präsident des Reichsprüfungsamtes gewesen ist. Seit Hans Wrobels verdienstvollem Aufsatz in der "Kritischen Justiz" von 1982 ist dies allgemein bekannt und auch vom Verlag C. H. Beck in Rückblicken und Festschriften öfter erwähnt worden.
Palandt war zuständig für die Umsetzung der Studienordnung von 1935. Er ist allerdings weder als bedeutender Richter noch als Wissenschaftler hervorgetreten. Zu dem nach ihm fast zufällig benannten Kommentar hat er ein Vorwort beigesteuert. Er war auch kein "Täter", wenn man dieses Wort nicht zum Allerweltswort abwerten will. Frau Kemmerer berichtet vor allem über die Initiative des Bremer Doktoranden Janwillem van de Loo (http://palandtumbenennen.de). Er hat zahlreiche Unterstützer gefunden, die mehr oder weniger gleichförmig die Ansicht vertreten, es sei "skandalös", ein "Tätergedenken im Recht" zuzulassen, das Ganze sei ein unfreiwilliger "Stolperstein" oder gar eine "Ehrung" für einen Täter, es sei "bezeichnend" für die mangelhafte Verarbeitung der NS-Zeit in unserer Rechtskultur, dass der zum Markenzeichen gewordene Name Palandt "noch immer" dieses für juristische Laien unleserliche Buch schmücke. Getragen ist dies von der Überzeugung, die Tilgung von Namen dieser Art sei als "Bereinigung" überfällig.
Es ist bei dieser Initiative des guten Willens aber kaum bedacht worden, dass alles Ausradieren oder Übermalen im Namen eines höheren oder besseren Bewusstseins auch eine Kehrseite hat. Namenstilgungen werden seit der Antike als "damnatio memoriae" geübt. Der Namensträger sollte als Unperson dem Vergessen anheimfallen. Nicht nur Cäsaren und Diktaturen, sondern auch Demokratien verfahren so, indem sie wirkliche oder vermeintliche Schmutzflecken ihrer Geschichte tilgen. Zahllose Umbenennungen von Straßen aufgrund örtlicher Initiativen zeugen davon. Das gehört zwar zum normalen Umwälzungsprozess der jeweiligen öffentlichen Meinung und ist nicht zu missbilligen, wenn damit die Namen und Symbolakte vergangener Regime verschwinden. Selbstverständlich wollte nach 1945 niemand mehr Adolf-Hitler-Plätze betreten oder Hakenkreuze sehen, das Horst-Wessel-Lied gesungen hören oder sonstige Propagandazeichen des Regimes wahrnehmen. Ihre Verbreitung ist bekanntlich strafbar. Aber es gibt doch in einem subtileren Bereich des Erinnerns andere Fälle. Es sind Namen und Zeichen, mit deren Hilfe man kritisches Denken über politischen Druck und über sich selbst anregen kann.
Offenbar meint die Initiative "palandtumbenennen", sie werde, wenn sie Erfolg hat, einen positiven Beitrag zu unserer Rechtskultur geleistet haben. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Löschung aller "bösen" Namen mag vordergründig optisch-moralisch befriedigen. Sie lässt diese Namen aber auch im Bewusstsein künftiger Generationen verschwinden. Wer als Hochschullehrer sprechende Beispiele für die Rolle von Juristen in Diktaturen sucht, um zu erklären, was "furchtbare Juristen" sind, wird sie nicht mehr finden. Man würde genau das besorgen, was viele der "Ehemaligen" nach 1945 gefordert haben, nämlich kollektives Vergessen, Nachvorneschauen, um die Vergangenheit ruhen zu lassen. Schmutzflecken zu beseitigen bedeutet eben, dass die Welt hinterher so sauber aussieht, als wäre nichts gewesen. Dann wäre die Nazizeit nicht nur als Zeit vergangen, sondern auch als Memento unsichtbar geworden, in diesem Fall für die juristische Zeitgeschichte und deren Vermittlung. Pädagogik braucht Anhaltspunkte oder Widerhaken, damit etwas "hängenbleibt". Ob diese Folge der Namenslöschung von denen, die sonst mit großem Recht "Wider das Vergessen" eintreten, in Ruhe bedacht wurde, bezweifle ich.
Was der Verlag im Vorspann zur 77. Auflage in Sachen Palandt getan hat, war allerdings halbherzig, speziell durch den verschämten Verweis auf das Internet. Man könnte diese Art Aufklärung bei künftigen Auflagen deutlich verbessern, etwa durch einen kritischen und eingehenden Essay im Palandt zur Rolle jener sonst vergessenen Person und zur Rolle von angepassten Juristen im NS-Recht.
Dort würden es dann junge Studierende, die erstmals einen Palandt benutzen, finden können. Vielleicht könnten sie dann trotz des Examensdrucks ins Nachdenken kommen, ob es nicht sinnvoll sei, sich auch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ist der Name Palandt aber gelöscht, dann besteht kein Anlass mehr, ihn kritisch zu kommentieren. Dann können die Studierenden sich erst recht mit der von Alexandra Kemmerer zitierten Formulierung von Barbara Dauner-Lieb und Stephan Hobe "rational apathisch" auf die Examensvorbereitung konzentrieren, als geschichtsblinde Maulwürfe im geltenden Recht. Ist dann alles gut?
MICHAEL STOLLEIS, F.A.Z., 18.04.2018, Geisteswissenschaften (Natur und Wissenschaft), Seite N3. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.