Trumps Triumph markiert den Sieg der Geld- über die Bildungselite, indem die Republikaner die Außenseiter für sich gewinnen. Die Erosion einst konsensfähiger Werte in den USA könnte am Ende die Demokratie selbst erfassen.

Von Pierre Ostiguy und Johannes Völz

Nach der Wahlniederlage gegen Donald Trump sind die US-Demokraten uneins darüber, was eigentlich geschehen ist. Erklärungsansätze gibt es viele. Manche zeigen auf Trumps Stärken, die Überzeugungskraft seines Versprechens, die USA in ein goldenes Zeitalter zu führen. Andere mutmaßen, seine rassistische und frauenfeindliche Demagogie verfange nun einmal bei den Menschen. Oder sie betonen die Spuren, die Jahrzehnte rechter Propaganda im Talk Radio, auf Fox News und in rechten Online-Filterblasen hinterlassen haben. Andere sehen die Demokraten als Opfer der Covid-Maßnahmen. Nach der Pandemie haben die Menschen beinahe überall ihre Regierungen, ob rechts oder links, aus dem Amt gewählt. So gesehen sind die Demokraten in guter Gesellschaft.

Immerhin: Es gibt auch Analysen, die die Ursachen bei den Demokraten selbst sehen. Ihre Kandidatin Kamala Harris schaffte es demnach nicht, ihr eigenes Profil zu schärfen und sich von Joe Biden abzusetzen. Und sie besetzte – so eine mittlerweile weit geteilte These – die falschen Themen: Anstatt die ökonomischen Nöte der Menschen, insbesondere der Geringverdiener, in den Vordergrund zu stellen, konzentrierte sie sich auf die Rettung von Demokratie und auf das Abtreibungsrecht. Der Senator Bernie Sanders stellte dem Wahlkampfteam von Kamala Harris und der Demokratischen Partei nach der Niederlage ein vernichtendes Urteil aus: „Es sollte nicht überraschen, dass eine Demokratische Partei, die die Menschen aus der Arbeiterschicht im Stich gelassen hat, nun feststellen muss, dass die Arbeiterschicht sie im Stich gelassen hat.“ Mit anderen Worten: Die Demokraten sollten sich wieder darauf besinnen, Politik für die kleinen Leute zu machen.

Allein: Eine Partei der kleinen Leute sind die Demokraten längst nicht mehr. Das Wahlergebnis mag in seiner Deutlichkeit überrascht haben, doch es bestätigt eine Tendenz, die sich seit mehr als zwei Jahrzehnten abzeichnet. 1996 war die letzte Wahl, bei der die Demokraten die Mehrheit der Stimmen sowohl unter den Ärmeren als auch weniger Gebildeten erlangten. Seit der Jahrtausendwende waren die Wähler der Demokraten im Durchschnitt zwar nach wie vor weniger vermögend als diejenigen der Republikaner, doch in der Bildung haben sie die Republikaner immer weiter abgehängt.

Laut Nachwahlbefragungen erhielt Trump in diesem Jahr – wie schon bei den vorigen beiden Wahlen – die Unterstützung von rund zwei Dritteln der Weißen ohne Schul- und Universitätsabschluss. Unter Amerikanern mit Universitätsabschluss haben dagegen die Demokraten einen Vorsprung von 21 Prozentpunkten; bei nicht weißen Collegeabsolventen beträgt er sogar 33 Punkte.

Die Bildungsschere zwischen den Parteien hat sich parallel zur größer werdenden Kluft zwischen Wählern in urbanen und ländlichen Regionen entwickelt. Schon in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts waren die Demokraten vorwiegend eine Partei der Städte. Mittlerweile reüssieren sie vor allem unter gut gebildeten Städtern, während die Republikaner zur Partei der Menschen mit geringer Bildung, insbesondere in den ländlichen Regionen, geworden sind.

Aussagekräftig wird der Befund der Bildungsschere allerdings erst, wenn man ihn sozio-politisch entschlüsselt. Allzu oft wird Bildung unmittelbar in die Kategorie der sozialen Klasse übersetzt, als Indikator für arm und reich. Und gewiss: Höhere Bildung – zumal an den Topuniversitäten – ist in den USA zunehmend zu einem Privileg der Wohlhabenden geworden, und der Abschluss an einer Topuniversität wiederum erleichtert es, an Führungspositionen quer durch jene Berufsfelder zu gelangen, die für die Wissensgesellschaft von zentraler Bedeutung sind. So übersetzt sich Bildung in Wohlstand und Wohlstand in Bildung.

Doch hat Bildung mit weit mehr als nur mit dem Einkommen zu tun. Zum politisch wirksamen Faktor der US-Politik sind die Bildungsunterschiede geworden, weil sie eine Hierarchie des gesellschaftlichen Status begründen. Mit Status ist jene schwer fassbare Größe gemeint, an der sich materielle Unterschiede in eine symbolische, kulturelle Hierarchie übersetzen, ohne den Bezug zur Geldökonomie je ganz zu verlieren. „Geldbesitz und Unternehmerlage“, schrieb Max Weber vor gut einhundert Jahren, „sind nicht schon an sich ständische Qualifikationen“. Soll heißen: Status ist nicht allein vom Vermögen bestimmt. Es bemisst sich nicht an Geld, sondern an Prestige, Respekt und Anerkennung. Wer im Statuswettbewerb hinten liegt, erlebt dies in Form von negativen Gefühlen. Zu ihnen gehören Ressentiment, Wut und Zorn ebenso wie Scham und Niedergeschlagenheit.

Dass Bildung in den USA über Status entscheidet, mögen hierzulande viele Menschen kaum glauben. Die USA, so lautet ein gängiges Vorurteil, seien ein durch und durch antiintellektuelles Land. Reichtum allein begründe Statusüberlegenheit. Doch ein solcher Einwand unterliegt einem Missverständnis. Denn dass sich Bildung in Status übersetzt, heißt in den USA keineswegs, dass man kulturbeflissen über Shakespeare oder Beethoven zu parlieren weiß und im Sommer im Louvre vorbeischaut. Dass Bildung Statusgewinne bereithält, zeigt sich viel mehr am Prestige, das ein Studium an einer der Topuniversitäten mit sich bringt. Harvard-Studierende nennen es bisweilen „dropping the H-bomb“: Wer ins Gespräch einfließen lässt, dass er diese Universität besucht, bringt alle Umstehenden zum Schweigen.

Die Namen der Topuniversitäten eigenen sich natürlich nicht nur dazu, Eindruck zu schinden. Sie öffnen auch die Tür zu den Institutionen politischer, wirtschaftlicher und kultureller Macht. Einer Studie zufolge kommen 54 Prozent der Führungskräfte in höheren Berufen – Anwälte, Künstler, Wissenschaftler, Journalisten, Politiker, Unternehmer – von den 34 führenden Universitäten des Landes. Der Soziologe Norbert Elias führte in seiner Theorie der Statusunterschiede vor, dass sich eine jede Gesellschaft in Etablierte und Außenseiter unterteilen lässt. Die Etablierten zollen sich gegenseitig Respekt, indem sie Überzeugungen, Haltungen und Ausdrucksweisen als Norm setzen, diese selbst mustergültig befolgen und sich dabei über diejenigen erheben, denen die Status-Codes fremd bleiben.

Dass Bildung in den USA zum entscheidenden Faktor politscher Zugehörigkeit geworden ist, sagt uns also etwas darüber, wie sich Politik und Status miteinander verschränkt haben. Die politische Landschaft wird nicht mehr nur von den Polen der politischen Ideologie und des Einkommens bestimmt, sondern auch von einer Statushierarchie. Die Demokraten sind zur Partei der Etablierten geworden, die Republikaner zur Partei der Außenseiter. Die Pole links und rechts haben sich mit oben und unten überkreuzt.

Dass sich Status und Reichtum nicht decken müssen, zeigt sich in den USA auch an den Superreichen, zu denen Unternehmer genauso wie Celebrities aus Unterhaltung, Sport und bisweilen Politik gehören. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze beschrieb die USA nach der Wahl in seinem Podcast „Ones and Tooze“ treffend als eine Dreiklassengesellschaft, in der die Milliardäre und Berühmtheiten ganz oben in der Einkommenspyramide stehen. Unter ihnen stehen die wohlhabenden Statuseliten, also die von Elias als „Etablierte“ bezeichneten gebildeten Schichten, deren Erfolg sich in der Besetzung institutioneller Führungspositionen niederschlägt. Zwar besitzen sie weit weniger Geld als die Superreichen, doch dafür verfügen sie über Status. Unter ihnen steht das Gros der Bevölkerung: jene weniger gut gebildeten Schichten, die weder über Geld noch über Status verfügen.

Diese Dreiklassenstruktur, in der eine Geld- und eine Statuselite miteinander konkurrieren, ist auch der Schlüssel für das Verständnis des Phänomens Donald Trump. Trump bringt das Intervall zwischen Reichtum und Status zum Klingen und gewinnt aus dieser Dissonanz seine politische Energie. Seine Anhänger bewundern ihn nicht einfach für seinen Reichtum und seinen unternehmerischen Erfolg, sondern dafür, dass er mit seinem Reichtum der Statusökonomie trotzt. Zwar schenken ihm die etablierten Institutionen kein Ansehen – es fehlt ihm an symbolischem Kapital -, doch aus diesem Umstand der Statusherabsetzung macht Trump eine Tugend. Er übertrumpft den Mangel an Respekt mit seinem exorbitanten ökonomischen Kapital. Für all diejenigen, die im großen Statuswettbewerb zurückbleiben, bietet er sich als Rächerfigur an. Seine Milliarden erlauben es ihm, sich von der symbolischen Macht der Statuselite unabhängig zu machen und sich dadurch über diese zu erheben.

Zur Aufarbeitung der Wahlschlappe gehört bei den Demokraten gegenwärtig die Behauptung, die Demokraten hätten im Wahlkampf zu sehr auf „Wokeness“ gesetzt. Dabei vermied es Kamala Harris tunlichst, ihre eigene Identität zum Gegenstand des Wahlkampfs zu machen, trotz der diffamierenden Angriffe Trumps. Beinahe tragisch ist es, dass trotzdem der Eindruck entstand, ihr Wahlkampf sei „zu woke“ gewesen.

Wie konnte das geschehen? Die Antwort liefert die Politisierung der Statusökonomie. „Wokeness“ gehört zum Wertepaket der Etablierten. Harris machte sich dieses Paket schon durch ihren Stil, ihre Haltung, ihre Art zu sprechen zu eigen. Denn in der populistischen Statuspolitik, die das Unten gegen das Oben in Stellung bringt, geht es nicht primär um politische Positionen, sondern um Habitus. Und indem Harris versuchte, die Angriffe Trumps an sich abprallen zu lassen, verpflichtete sie sich zu einem statustreuen Habitus, den Michelle Obama 2016 auf den Punkt brachte, als sie in Reaktion auf Donald Trumps Unflätigkeiten postulierte: „When they go low, we go high“ (Wenn die anderen das Niveau verlieren, verteidigen wir es erst recht). Wer Respektabilität verkörpert, der steht auch ein für das Wertepaket der verhassten Eliten.

Damit steht zu befürchten, dass auch andere einst konsensfähige Werte, für die die Demokraten eintreten, in Verruf geraten könnten. Schaden nehmen könnte dadurch am Ende auch die liberale Demokratie. Wer Donald Trump genau zuhört, dem fällt auf, dass er nicht nur die Sprache des europäischen Faschismus zitiert, sondern dass er auch die Sorge um die Demokratie als Anliegen der Demokraten abtut. Im Madison Square Garden, kurz vor der Wahl, sprach er über die Gefährdung der Demokratie, die in seinen Augen in Wirklichkeit von den Demokraten ausging. „Gefährdung der Demokratie“ – Trump brachte diese Worte nur über die Lippen, indem er hinzufügte: „um ihren Ausdruck zu verwenden“.

Die Logik der Statuspolitik, auf die sich Demokraten wie Republikaner im Zuge der gesellschaftlichen Polarisierung gleichermaßen eingelassen haben, könnte am Ende die Demokratie selbst erfassen – und sie als Elitenprojekt dastehen lassen.

Pierre Ostiguy lehrt Politikwissenschaft an der Universität von Valparaiso (Chile).

Johannes Völz lehrt Amerikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt.

Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13.12.24, Nr. 291, Feuilleton, S. 11. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv