Podiumsdiskussion über Folgen von Klima-Urteil

Es gilt als ein Meilenstein für den Klimaschutz in Deutschland – das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021. Die Richter stellten fest, dass das Klimaschutzgesetz des Bundes von 2019 insofern mit den Grundrechten unvereinbar sei, als es keine ausreichenden Vorgaben für die Senkung der Emissionen von 2031 an enthalte. Wo steht der Klimaschutz zwei Jahre nach dieser Entscheidung? Und welche Konsequenzen hat das Urteil für den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Um diese Fragen zu beantworten, hatte die KfW-Stiftung für Dienstagabend zwei Wissenschaftlerinnen zu einer Podiumsdiskussion eingeladen.

Gabriele Britz war von 2011 bis 2023 Bundesverfassungsrichterin und hat an dem Urteil mitgewirkt. Inzwischen lehrt sie wieder als Professorin für Öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Gießen. Nicole Deitelhoff ist Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungen an der Universität Frankfurt und geschäftsführende Direktorin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Britz erläuterte zunächst, was das Urteil eigentlich bedeute: Zum einen buchstabiere es aus, was klimapolitisch aus Artikel 20a des Grundgesetzes folge. Darin wird aus Verantwortung für künftige Generationen der Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen“ gefordert. Generationengerechter Klimaschutz bedeute demnach Klimaneutralität, so die Juristin. Das heiße, entweder würden keine Treibhausgase mehr ausgestoßen oder die Emissionen würden vollständig ausgeglichen. Ziel sei es, die Erderwärmung möglichst auf weniger als zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. „Das klingt zwar banal, ist aber radikal“, sagte Britz. „Das hätte die Überwindung des fossilen Zeitalters zur Folge.“

Außerdem verpflichte das Urteil den Staat dazu, aktiv zum Erreichen dieses Ziels beizutragen. Anders als das damalige Klimaschutzgesetz vorgesehen habe, brauche es über das Jahr 2030 hinaus einen konkreten Plan zur Emissionsminderung. Das Urteil beruht laut Britz zudem auf einem erweiterten Freiheitsverständnis: „Je länger wir mit dem Klimaschutz warten, desto drastischer werden spätere Freiheitseinschränkungen ausfallen müssen.“

Andererseits können sich Menschen in der Gegenwart durch Klimaschutzvorschriften in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Fördert also der Kampf gegen die Erderwärmung die Spaltung der Gesellschaft? „Wir leben in einer Zeit von verschiedenen und zugleich existenziellen Krisen“, sagte die Politologin Deitelhoff. Die Klimakrise zeige nur beispielhaft, dass Bürger daran zweifelten, dass die Politik die Herausforderungen meistern wolle und könne. Allerdings belegten Umfragen, dass die Mehrheit der Bevölkerung moderate Positionen vertrete. Über einzelne Themen wie Migration entzweiten sich Bürger, aber von einer gesamtgesellschaftlichen Spaltung könne nicht die Rede sein.

Uneins waren sich Deitelhoff und Britz an diesem Abend nur selten. Die Politikwissenschaftlerin beklagte, dass reiche Staaten ärmeren Ländern zwar finanzielle Unterstützung zusagten, aber ihre Versprechen nicht einhielten, wenn es darauf ankomme. Britz widersprach: Gerade ölreiche Länder hätten ein Interesse daran, viel Geld in Fonds für den Klimaschutz einzuzahlen, damit ihr bisheriges Geschäftsmodell weiterlaufe. Worin beide übereinstimmten: Was bisher für das Klima getan werde, reiche nicht; die Politik müsse nachlegen. fesc.

Von Felix Schwarz aus der Frankfurtrer Allgemeinen Zeitung vom 7. Dezember. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv